02 - Die ungleichen Schwestern
nicht gefragt, aber es war nur zu offensichtlich, dass ihn seine
aufdringliche, vulgäre Frau dazu gezwungen hat, den Dienst zu quittieren. Ich
werde die Familie wieder besuchen, aber nur wenn ich sicher sein kann, dass ich
Captain Hart antreffe.«
»Und
was hältst du von der schönen Euphemia?«
»Sie
sollte nicht soviel trinken«, sagte Mr. Nevill rundheraus. »Zuerst war sie
keck, dann frech, dann beleidigt, dann vorwurfsvoll, und das alles innerhalb
von einer halben Stunde.«
»Vielleicht
kann unsere Schönheit nichts dafür. Dieser soge nannte Negus war ein
teuflisches Zeug.«
»Und
wie ist es dir ergangen?« fragte Mr. Nevill. »Die Leute konnten sich ja gar
nicht mehr beruhigen - der große Beau Tregarthan macht einem
unscheinbaren Schulmädchen den Hof.«
»Ist sie
wirklich so unscheinbar?« fragte Lord Tregarthan und unterdrückte ein Gähnen.
»Ich gestehe, dass ich gar nicht darauf geachtet habe. Lass uns von etwas
anderem reden.«
Fünftes
Kapitel
Es ist eine
traurige Tatsache, dass im wirklichen Leben keine Heldin so edel und tugendhaft
ist wie etwa in Grimms Märchen, und so erwachte auch Jane, die frühzeitig ins
Bett entflohen und deshalb Euphemias Vergeltungsmaßnahmen entgangen war, am
nächsten Tag mit einem ganz leichten, angenehmen Gefühl der Schadenfreude. Sie würde
mit Beau Tregarthan in dessen Kutsche entschweben, während Euphemia, bleich und
müde, gerecht bestraft und eifersüchtig, am .Fenster stand und ihr nachschaute.
Felice würde zu ihrer ergebenen Sklavin werden und die Anerkennung der jüngeren
Schwester fördern, um dem üblen Charakter der älteren entgegenzuwirken.
Kein
Wunder, dass Jane einen plötzlich aufsteigenden Groll verspürte, als sie am
späten Vormittag ins Speisezimmer herunterkam und Euphemia und die Zofe in
bestem Einvernehmen vorfand. Sie steckten die Köpfe zusammen und lachten über
ein Bild in einer Zeitschrift, als Jane eintrat.
Die
schlaue Felice hatte sich Euphemias Vorwürfe ganz erstaunt und überrascht
angehört. Wie konnte eine Schönheit wie Euphemia auf die Idee kommen, dass ein
paar Nadelstiche ein kleines Schulmädchen in eine Rivalin verwandelt hatten?
Sie bedachte Euphemia mit so vielen Komplimenten und Schmeicheleien, bis diese
vor Behagen geradezu schnurrte.
Dann
trafen Blumensträuße und Gedichte ein, und sie waren alle für Euphemia
bestimmt. Es war nicht zu leugnen, dass Mrs. Harts »berauschende«
Abendgesellschaft sie und ihre ältere Tochter zu einem gesellschaftlichen
Erfolg gemacht hatten. Eine Abendeinladung war keine Einladung nach der Mode,
wenn sie keinen Gesprächsstoff lieferte, und nie zuvor hatte es eine Einladung
wie die der Harts gegeben! Zwei Damen der allerersten Kreise hatten, durch
Rainbirds Negus enthemmt, versucht, einander die Augen auszukratzen. Der junge
Mann, den man aus dem Fenster gelassen hatte, hatte sich beide Knöchel
gebrochen, wenn manche auch glaubten, es müsste sein Hals gewesen sein, denn
von dem Tag an trug er nur noch Halsbinden, die aus vielen Metern vom festesten
Leinen geschlungen waren, falls jemand versuchen sollte, ihn aus großer Höhe
herabzulassen, und er sah in der Tat wie das Opfer eines Verkehrsunfalls aus.
Jedermann
hatte sich so herrlich würdelos bekommen, dass Euphemias schlechte Manieren
ganz vergessen wurden und am folgenden Tag nur das Bild ihrer großen Schönheit
in den fiebrigen Köpfen der vornehmen Herren spukte, als sie sich bemühten,
ihren rasenden Durst mit riesigen Gläsern Mineralwasser, das mit Rheinwein
vermischt war, zu löschen.
Die
Gesellschaft schüttelte die Köpfe, klatschte und lachte über die schrecklichen
Vorkommnisse bei Mrs. Harts Abendeinladung und erklärte, sie sei ein Original.
Mrs. Hart hatte im Laufe des Abends auch jedermann die Höhe von Euphemias
Mitgift mitgeteilt, ohne sich die Mühe zu machen, dabei diskret vorzugehen.
Damit hatte Euphemias Schönheit auch den notwendigen Goldrand.
Betäubt
von ihrem Erfolg erschien Mrs. Hart im Speisezimmer und verkündete, dass die
kleine Jane ein paar neue Kleider haben müsse, und die enttäuschte Jane
bemerkte, dass diese Ankündigung nicht einmal eine Spur von Eifersucht in den Augen
ihrer Schwester bewirkte. Denn es stellte sich heraus, dass der berühmte und einflussreiche
Marquis of Berry Euphemia zu einem Ausflug abholen wollte. Und was war
Tregarthan, der nur ein Lord war, verglichen mit einem Marquis?
Außerdem
nahm Mrs. Hart, obwohl erfreut und überrascht über das, was sie »Janes
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