02 - Die ungleichen Schwestern
tiefen Knicks. »Ich-ich
bin n-nicht Miss Hart«, stammelte sie. »Ich bin Miss Harts jüngere
Schwester, Jane.«
Lord Tregarthan
blickte auf das zierliche Wesen herab, und die verblüffende Kombination ihrer
klaren offenen Augen in dem unschuldigen Gesicht mit dem äußerst raffiniert
geschnittenen Kleid gefielen ihm. »Bitte bleiben Sie doch sitzen, Miss Jane.«
Er zog einen Stuhl neben sie und wandte sich an Mr. Nevill. »Peter, sei so gut
und bring uns etwas zu trinken, egal was.« Mr. Nevill ging, und Lord Tregarthan
wandte seine Aufmerksamkeit wieder Jane zu.
»Die
Leute sind recht fröhlich«, sagte er. »Gewöhnlich wird doch auf
Abendgesellschaften nichts gereicht.«
»Das
wußte ich nicht«, sägte Jane. »Ich habe es mir ganz
anders
vorgestellt. Ich dachte, man tanzt und spielt Karten und dergleichen.«
»Nein,
nein«, sagte er ernsthaft. »Eine Abendgesellschaft ist eine spezielle Form von
Leiden. Man kommt, um zu sehen
und
gesehen zu werden, um fast zerquetscht zu werden und sich auf den Füßen
herumtrampeln zu lassen, aber bestimmt nicht, um sich zu amüsieren. Ach, vielen
Dank, Peter.« Er nahm von Mr. Nevill zwei Gläser Negus entgegen, reichte eines
Jane und behielt das andere.
»Lord
Dudley steht da drüben, Peter«, sagte er, »und spricht wie üblich mit sich
selbst. Es ist ein Jammer, dass ihm nie jemand zuhört.«
»Vielleicht
sollte ich ihm mein Gehör leihen«, sagte Mr. Nevill und ging weg, weil er
scharfsinnig schloss, dass sein Freund aus irgendeinem unersichtlichen Grund
mit dieser merkwürdig reizlosen jüngeren Schwester allein sein wollte.
Jane
nippte an ihrem Negus und verschluckte sich. Lord Tregarthan probierte seinen
und nahm Jane dann vorsichtig das Glas aus der Hand und stellte es auf einem
Marmortischchen, auf dem ein Kerzenleuchter stand, ab.
»Zu
stark für ein Mädchen in Ihrem zarten Alter«, sagte er. »Es schmeckt mehr nach
tödlichem Punsch als nach Negus. Es sollte doch Negus sein, oder?«
»Ja«,
antwortete Jane. »Meine Schwester hat Mr. Rainbird - das ist unser Butler
- befohlen, ihn stärker zu machen.«
»Das
ist ihm gelungen - und zwar sehr wirkungsvoll.«
Er sah,
wie sich auf Janes Gesicht Enttäuschung spiegelte und blickte auf. Mrs. Hart
kam herbeigeeilt, mit Euphemia im Schlepptau. Lord Tregarthan stand auf und
verbeugte sich. Mrs. Hart stellte sich und Euphemia vor. Lord Tregarthan
verbeugte sich noch einmal. Sein erster Eindruck von Euphemia bestätigte, dass
sie wirklich eines der schönsten Mädchen war, die er je gesehen hatte; sein
zweiter Eindruck war, dass sie zuviel getrunken hatte, und sein dritter, dass
sie in ihren wunderbaren Augen einen höchst unangenehmen Ausdruck hatte.
»Sie
dürfen Ihre Zeit nicht mit unserer kleinen Jane vergeuden«, meinte Mrs. Hart.
»Es sind so viele Leute da, die darauf brennen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Lord
Tregarthan klemmte sein Monokel ins Auge und schaute Mrs. Hart mit einem stark
vergrößerten blauen Auge an. Dann ließ er es wieder fallen.
»Ich
bin recht zufrieden mit meiner augenblicklichen Gesellschaft«, sagte er milde.
»Doch Sie dürfen Ihre anderen Gäste nicht vernachlässigen.«
Mrs.
Hart errötete und wandte sich ab. Schon drängten sich viele Gäste auch in den
oberen Räumen. Aus dem Speisezimmer hörte man lautes Gläserklirren, auf das
Freuden schreie folgten. Sie eilte fort, während Euphemia die Stellung hielt.
»Es ist
Zeit für dich, zu Bett zu gehen, Jane«, sagte sie scharf.
»Wie
soll denn einer bei diesem Lärm schlafen können?« fragte der Beau. »Bitte, ich
flehe Sie an, Miss Hart, machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Schwester. Es
geht ihr sehr gut bei mir.« Er setzte sich wieder hin und drehte seinen Stuhl
dabei so, dass er Jane gegenübersaß und Euphemia seine gut geschneiderte
Rückenpartie zuwandte. Da blieb Euphemia nichts anderes übrig, als ihrer Mutter
zu folgen, aber ihre schönen Augen drohten Jane Vergeltungsmaßnahmen an.
»Oh,
ich wünschte wirklich, dass Sie nicht bei mir geblieben wären«, sagte Jane ganz
unglücklich. »Es schickt sich nicht für Sie, Sir, jemanden wie mich zu
benutzen, um meine Mutter und Schwester zu demütigen.«
Er zog
seine schmalen Augenbrauen in die Höhe. »Ich habe sie nicht gedemütigt, es
schien mir allerdings so, als wollten die beiden Sie demütigen. Hält man Sie
nicht für heiratsfähig?«
»Nein,
Mylord«, sagte Jane mit fester Stimme. »Ich werde nicht in die Gesellschaft
eingeführt.«
»Seltsam.
Man
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