02 - Die ungleichen Schwestern
schluchzten und waren untröstlich. Nur der
Gedanke, dass der Marquis of Berry an diesem Abend an ihrer Dinnerparty
teilnehmen wollte, bewirkte, dass sie sich schließlich zusammennahmen.
Mrs.
Hart hatte auch Lord Tregarthan eingeladen. Sie war zwar davon überzeugt, dass
er nicht das geringste Interesse an Jane hatte, aber die Londoner Gesellschaft
hatte sich immerhin eifersüchtig und neugierig gezeigt, was bewies, dass sie
der Meinung war, es handle sich um eine bemerkenswerte Zuneigung. Obwohl
Euphemia und ihre Mutter wussten, dass er kommen würde, hatten es beide nicht
für nötig erachtet, Jane davon in Kenntnis zu setzen.
Das
Dinner sollte aus Lendenbraten, gekochter Rinderkeule, gekochter Hammelkeule in
Kapernsauce, Kaninchen in Zwiebelsauce, Seefisch mit Pastinak und Eiersauce,
verschiedenen Puddings, Gelees, Früchten und Nüssen bestehen. MacGregor war auch
angewiesen worden, einige Beilagen auf »französische Art« zuzubereiten, und
Mrs. Hart hoffte, den Koch, den sie nicht leiden konnte, damit in größte
Verlegenheit zu bringen. Aber MacGregor hatte früher in Paris gearbeitet und
war entzückt über die Gelegenheit, sein Talent unter Beweis stellen zu können.
Felice
half Jane in ihr wunderbares neues Kleid, das schönste Kleid, das Jane je
angehabt hatte. Es war bei Leonie für Jane bestellt worden, als Mrs. Hart noch
dachte, Lord Tregarthan wolle sie um ihre Hand bitten. Das Ensemble bestand aus
einem pinkfarbenen, hauchdünnen Seidenunterkleid mit einem griechischen Gewand
aus weißer Gaze darüber, dessen Verschluß aus silbernem Filigran geflochten
war. Der Saum war mit einer feinen, zwölf Zentimeter breiten Spitze eingefasst.
Es hatte spanische weite Ärmel, die mit silbernen Filigranknöpfen und -knopfschlaufen
zusammengehalten wurden. Ihr Haar war à la Grecque frisiert und mit persischen
Rosen verziert. Schuhe aus weißem Satin mit pinkfarbenem Blattmuster, lange
pinkfarbene französische Glacéhandschuhe und ein weißer Kreppfächer
vervollständigten das Modell.
Zu
ihrer Überraschung kam ihre Mutter herein und drückte ihr eine Perlenkette und
ein Armband in die Hand »Wir haben heute abend einen angesehenen Mann zu Gast«
sagte Mrs. Hart, »deshalb wünsche ich, dass du möglichst vorteilhaft
aussiehst.«
Janes
Herz begann zu klopfen. »Wen?« fragte sie mit zitternder Stimme.
»Sein
Name ist Mr. Bullfinch, meine Liebe. Ein Bankier. Sehr wohlhabend.«
»Mr.
Bullfinch!« Jane starrte ihre Mutter voller Entsetzen an. Was für ein
unglaubliches Zusammentreffen! »Aber das ist der Mann, der mit der armen Clara
verlobt war.«
»Und
wer ist diese arme Clara?«
»Nun,
Clara Vere-Baxton, die Lady, die man tot im Green Park aufgefunden hat.«
»Ach
ja, ich habe davon gehört, aber es ist eine Ewigkeit her. Mr. Bullfinch ist
eine gute Partie.«
»So
gut, dass ich womöglich auch noch im Green Park ende!«
»Jane!
Entweder du benimmst dich anständig, oder du bleibst auf deinem Zimmer.«
Jane
seufzte. Es wäre wunderbar, auf dem Zimmer zu bleiben, aber es war auf der
anderen Seite auch eine großartige Gelegenheit, mehr über Mr. Bullfinch
herauszubekommen. »Es tut mir leid, Mama«, sagte sie sanftmütig. »Ich werde
mich gut benehmen.«
»Bemühe
dich darum!« meinte Mrs. Hart grimmig. »Und sorge dafür, dass mir Felice die
Perlen wieder zurückgibt. Du bekommst sie nur für heute abend geliehen. Ich
hoffe, das Dinner wird ein Erfolg. Ich fürchte, ich habe die Diener hier nicht
streng genug angefasst. Rainbird ist ja ganz in Ordnung, aber Joseph ist immer
ganz verdattert und ein fauler Kerl, MacGregor ist ein schottischer Wilder und
Mrs. Middleton ziemlich dumm.«
»Mama«,
wagte Jane noch einen Vorstoß. »Ich weiß, dass du wenig Hoffnung hast, einen Mann
für mich zu finden; warum hast du dann plötzlich beschlossen, Mr. Bullfinch
einzuladen?«
Mrs.
Hart betrachtete ihre jüngere Tochter mit einem Stirnrunzeln. Die Leute sagten,
dass Mr. Bullfinch ungebunden, sehr reich, sehr schlicht sei und praktisch dem
Kaufmannsstand angehörte. Aus all diesen Gründen war sie der Meinung, dass er
die richtige Partie für Jane sei.
Mrs.
Hart, die trotz der Zurückweisung durch Almack von ihrem gesellschaftlichen
Erfolg überwältigt war, betrachtete sich geradezu als Mitglied der
Aristokratie. Sie war davon Überzeugt, dass Mr. Bullfinch sich der Ehre, die
man ihm antat, sehr wohl bewußt und nur zu bedacht darauf war, einen Vorwand zu
finden, sich mit einer solch illustren Familie zu
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