02 - Die ungleichen Schwestern
Sie müssen wissen, dass ich Ihnen etwas
Wichtiges zu sagen habe ...«
»Das
Abendessen ist aufgetragen«, sagte Rainbird von der Tür her. Die kleine
Gesellschaft, die aus sechs Gästen und den Harts bestand, begab sich in das
Speisezimmer.
Lord
Tregarthan wurde gebeten, gegenüber von Jane mit Euphemia an der einen und
einer älteren Dame an der anderen Seite Platz zu nehmen. Jane saß zwischen Mr.
Bullfinch und einem gewissen Mr. Woodforde zu ihrer Linken.
Jenny,
das Stubenmädchen, hatte die Ehre, Alice und Joseph im Speisezimmer helfen zu
dürfen. Von den Beilagen, die auf der Anrichte neben ihnen standen, stiegen
ihnen herrliche Düfte in die Nasen. MacGregor hatte sich selbst übertroffen.
Mrs.
Harts Vertrauen in Lady Doyle war in letzter Zeit zwar beträchtlich
geschwunden, doch alte Gewohnheiten und Zuneigungen sind nur schwer
auszurotten, und Lady Doyle hatte ihr erzählt, dass sich die Londoner exklusive
Gesellschaft beständig über ihre Dienstboten beklagte und dass das als
faszinierendes Gesprächsthema gelte.
Mrs.
Hart konnte ein Gericht nicht vom anderen unter scheiden. Sie hatte keinen Sinn
für die delikate Zubereitung von Speisen. So stocherte sie mäkelig in einer mit
einer köstlichen Sauce à la Matelote bedeckten Scholle. Ohne Grund nahm sie an,
dass MacGregor französische Saucen nicht zubereiten könne, deshalb schüttelte
sie sich vor Abscheu und suchte Rainbird mit den Augen, der aber gerade für
einen der älteren Gäste einen Kräuterlikör holte. Deshalb rief sie Joseph.
»Bringen
Sie diese Beilagen in die Küche zurück.« Dann fügte sie mit erhobener Stimme
hinzu: »Mein Koch ist ein ungehobelter Wilder aus Schottland und hat keine
Ahnung, wie man französische Gerichte zubereitet. Aber Sie werden seine
normalen Speisen zu schätzen wissen. Selbstverständlich ist unser eigenes
Personal auf dem Lande, das sehr zahlreich ist, bestens geschult.«
Lord
Tregarthan hob die Augenbrauen und erlaubte Joseph nicht, die beiden Teller,
die vor Mylord standen, abzuräumen. »Mein Gaumen ist offenbar nicht allzu
verwöhnt«, sagte er, »denn ich schwöre, Ihr Koch kocht wie ein Engel.«
Mrs.
Hart zögerte. Aber sie kam sich so großartig und weltläufig vor, wenn sie sich
über ihren Koch beklagte, dass sie gereizt auflachte und sagte: »Gut, wir
lassen Ihnen Ihre Speisen, L ord Tregarthan. Joseph, bringen Sie den Rest
auf der Stelle weg.«
Joseph
stapelte die Platten aufeinander und trug sie hinaus.
Mr.
Bullfinch plauderte mit Jane. über den furchtbaren Winter, den sie hinter sich
hatten. »Überall Eis«, sagte er mit einem Schauer. »Ich hatte es so satt, jeden
Morgen, bevor ich mich waschen konnte, erst einmal das Eis in meinen
Wasserkannen aufzuhacken.«
Jane
erkannte ihre Chance. »Das erinnert mich an etwas, das ich gelesen habe«, sagte
sie. »Eis hat die Teiche und Seen überzogen, hart und funkelnd im Sonnenlicht -
hart und funkelnd wie Deine schönen Augen, wenn sie auf diesen Deinen ergebenen
Sklaven blicken.«
Kaum
war es heraus, zuckte sie vor der auflodernden Wut in Mr. Bullfinchs Gesicht
zusammen .
Lord
Tregarthan saß angespannt auf seinem Stuhl und beobachtete sie neugierig.
»Miss
Jane«, sagte Mr. Bullfinch leise und drohend. »Sie haben offenbar die Briefe
gefunden, die ich an Miss Vere-Baxton geschrieben habe. Wie können Sie es
wagen, meine persönlichen Briefe zu lesen? Wie können Sie nur!«
»Es tut
mir leid«, flüsterte Jane, die auf einmal entsetzt war über die
Ungeheuerlichkeit dessen, was sie getan hatte.
»Als ob
es nicht genug wäre«, fuhr Mr. Bullfinch mit, diesem schrecklichen Unterton
fort, »dass ich die einzig Frau, die ich je geliebt habe, verloren habe, da
liest ein Kind meine Briefe und macht sich über mich lustig!«
Janes
Augen füllten sich mit Tränen. Lord Tregarthan war nahe daran, mit allen guten
Sitten zu brechen und Jane über den Tisch hinweg anzusprechen, als sich die Tür
zur Halle mit lautem Krachen öffnete und MacGregor unheilverkündend auf der
Schwelle stand.
Hätte
Rainbird die Platten zurückgebracht, hätte dieser es,: verstanden, den feurigen
Kochkünstler zu besänftigen.
Aber
Joseph, dem wieder einmal die Füße weh taten, hatte einfach das Tablett
hingeknallt und gesagt: »Mrs. Hart schmeckt dein Essen nicht.«
MacGregor
zitterte vor Wut. Er riß sich die Schürze vom Leib und die Mütze vom Kopf und
eilte die Treppe hinauf.
Jetzt
schaute er, immer noch zitternd, die Gäste mit bösen, durchdringenden
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