02 - Die ungleichen Schwestern
versprach Lord Tregarthan. »Machen Sie nicht so ein
unglückliches Gesicht. Das Geheimnis hat uns so in Anspruch genommen, dass wir
ganz vergessen haben, dass wir es mit menschlichen Wesen mit Gefühlen zu tun
haben. Ich bin genauso schuld wie Sie. Kommen Sie, lächeln Sie mich an, Jane.
Mr. Bullfinch wird Ihnen verzeihen.«
Jane
lächelte angstvoll zu ihm auf. Er hielt den Atem an, erstaunt über sein
plötzliches Verlangen, sie zu beschützen, ihr den Kummer von den Augen zu
küssen.
»Ich
kann morgen nicht mit Ihnen ausfahren«, sagte er leise. »Wir müssen uns noch
weiter unterhalten, aber der gute Ton verbietet es mir, Sie, abgesehen von
einer Spazierfahrt am hellen Nachmittag, allein zu treffen.«
Jane
dachte schnell nach. Mr. Bullfinchs Bemerkungen taten noch weh. Sie fühlte sich
sehr trostbedürftig.
»Ich
werde mindestens zwei Wochen lang weg sein«, fuhr er fort.
»Ich
könnte Sie im Essraum der Diener treffen, wenn die Gäste gegangen sind«, meinte
Jane. »Rainbird wird nichts dagegen haben. Er mag meine Mutter nicht.«
Genau
wie Ihr Vater, dachte Lord Tregarthan, aber laut sagte er: »Wenn sich alle
verabschiedet haben, schauen Sie auf die Uhr, und zwei Stunden danach komme ich
über die Außentreppe hinunter. Sind Sie sicher, dass die Diener nicht reden?«
Jane
bejahte. »Rainbird wird es Ihnen verbieten.«
Die
Gäste hatten inzwischen ihre gute Laune wiedergefunden. Man konnte am nächsten
Tag die übrigen Mitglieder der Gesellschaft ja mit so viel wunderbarem Klatsch
unterhalten: mit Mrs. Harts Auftritt mit ihrem Koch und dem mysteriösen
Verschwinden ihres Gatten während des Dinners.
Lord
Tregarthan wartete das Ende des Abends ab, ohne noch einmal mit Jane zu
sprechen.
Unten
ruhte sich Rainbird mit den anderen erschöpften Dienern aus. Eine Flasche von
Mr. Harts bestem Portwein machte die Runde, und sogar Lizzie durfte das
Geschirr stehenlassen und sich zu den anderen setzen.
»Wo ist
Felice?« fragte Rainbird plötzlich.
»Sie
hat gesagt, dass sie sehr müde ist und sich hinlegen will, bis Mrs. Hart sie
braucht«, berichtete Mrs. Middleton. »0 weh! Madam wird ganz schön in Harnisch
sein, weil der Captain weggefahren ist. Hat er gesagt, wohin er fährt?«
Rainbird
schüttelte den Kopf. »Er hat gemeint, wenn er es uns verschweigt, dann können
wir mit reinem Gewissen sagen, dass wir es nicht wissen. Mrs. Hart hätte sich
denken können, dass man einen solchen Mann nicht ewig schikanieren kann. Es ist
sehr wahrscheinlich, dass er zurück zur Marine gegangen ist.«
»Du
hast verdammtes Schwein gehabt, Angus«, meinte Alice. »Eine Guinee statt der
Peitsche.«
»Mrs.
Harts Verlust war unser Gewinn«, grinste Jenny. »Ich habe noch nie so
hervorragend gegessen.«
»Ich
könnte mir nicht vorstellen, dass ich weggehe«, sagte MacGregor traurig. »Es
war furchtbar nett von Lord Tregarthan, mir eine Stellung anzubieten.«
»Ich
weiß, dass du uns liebst, Angus«, sagte Mrs. Middleton, und ihre Augen füllten
sich mit sentimentalen Tränen.
»Das
ist es gar nicht«, meinte der Koch mürrisch. »Lord Tregarthan hat einen
Franzosen in der Küche, und Abraham sagt, er fuhrwerkt beängstigend mit den
Töpfen herum. Wenn es etwas gibt, was ich nicht ausstehen kann, dann ist es ein
Mann in der Küche, der sich nicht beherrschen kann.«
Sie
brachen alle in Lachen aus, außer Joseph.
»Du
hättest es verdient, ausgepeitscht zu werden, du großes haariges Wesen du«,
sagte er höhnisch lächelnd.
»Was du
mir abgenommen hättest«, grinste MacGregor. »He, Joseph, du bist ja gar nicht
der Waschlappen, für den ich dich gehalten habe.«
»Mr.
Rainbird!«
Sie
sprangen alle auf, als Jane hereinkam. Wie freundschaftlich sie da
zusammensitzen, dachte sie mit heftigem Neid. Sie waren wie eine richtige
Familie.
»Ich
möchte mit Ihnen sprechen, Mr. Rainbird.«
Rainbird
ging ihr in das Esszimmer der Diener voraus und wiegte seinen Kopf hin und her,
als Jane sagte, sie wünsche, mit Lord Tregarthan unter vier Augen zu sprechen.
»Sie
können ihn unter einer Bedingung allein sehen«, sagte Rainbird. »Diese Tür
bleibt offen, und ich bin draußen in der Küche. Aber warum in aller Welt will
Seine Lordschaft Sie hier unten treffen?«
»Wir
wollen uns ein bisschen unter vier Augen unterhalten, das ist alles. Bitte, Mr.
Rainbird. Ich bin zu müde, um mich in lange Erklärungen einzulassen.«
»Sehr
wohl, Miss«, erwiderte Rainbird. »Ich möchte nur nicht zu lange aufbleiben
müssen.«
»Wo
Weitere Kostenlose Bücher