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02 - Die ungleichen Schwestern

02 - Die ungleichen Schwestern

Titel: 02 - Die ungleichen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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sie aus irgendeinem unerklärlichen Grund unbeaufsichtigt
gelassen hatte. Lizzie versuchte sich einzureden, dass es sie nichts anging,
aber Lord Tregarthans Ruf als Draufgänger war bis in die Küche gedrungen, und Miss
Jane war doch noch so jung.
    Lizzie fasste
den Plan, den Schnorrer in das Esszimmer der Diener zu jagen, damit sie hinter
ihm herlaufen und was immer da vor sich ging verhindern konnte. Sie versetzte
dem Kater, der an sie geschmiegt schlief, einen kleinen ungeduldigen Stoß,
aber der Schnorrer hatte sich genauso wie die Diener an all den köstlichen Speisen,
die MacGregor bereitet und Mrs. Hart zurückgewiesen hatte, gelabt und
brummte nur ärgerlich, um sich danach noch enger an Lizzie zu kuscheln.
    »Nein,
das dürfen Sie nicht, Mylord!« rief Jane plötzlich ganz laut, als Lord
Tregarthans erfahrene Finger ihre Brust umschlossen. Dann flüsterte sie heiser:
»Vielleicht d och«, und bot ihm wieder ihren Mund dar.
    Lizzie biss
die Zähne zusammen. Es war klar, was ihre Pflicht war. Sie stand auf, schlang
einen Baumwollumhang über ihr Nachthemd und ging in das Esszimmer der Diener,
wobei sie laut hustete und überall anrempelte, um soviel Lärm wie möglich zu
machen. Als sie die Tür öffnete, standen die beiden nicht mehr beisammen. Janes
Mund sah leicht geschwollen aus. Lord Tregarthan wirkte dagegen so
unerschüttert wie immer. »Ich habe mir eingebildet, ich hätte etwas gehört«,
sagte Lizzie und machte einen tiefen Knicks.
    »Es
sind nur wir, wie Sie sehen«, lächelte Lord Tregarthan.
    »Ja,
Mylord«, sagte Lizzie und wich nicht vom Fleck, was sie sehr tapfer von sich
fand. Lizzie hatte bisher noch keinem Gentleman der feinen Londoner
Gesellschaft Auge in Auge gegenübergestanden. Gewöhnlich war der Blickwinkel,
aus dem sie sie sah, seltsam verzerrt, weil sie entweder die Außentreppe hinauf
oder die Dachbodentreppe hinabschaute, da es zu Lizzies Pflichten gehörte, das
Zimmer von Alice und Jenny unterm Dach zu putzen. Der. schöne Lord mit dem
Haar, das so golden wie eine Guinee war, und dem tadellosen Abendanzug wirkte
so beeindruckend auf Lizzie, dass sie sich beinahe hätte einschüchtern lassen.
    Lord
Tregarthan warf Lizzie einen spöttischen Blick zu und wandte sich dann an Jane.
»Ich werde Ihren Vater um die Erlaubnis bitten, mich Ihnen zu erklären, wenn
ich wieder zurück bin«, sagte er. »Gute Nacht, Jane.«
    Er hob
die Hand, nahm Hut und Stock, und weg war er.
    Lizzie
lächelte vor Erleichterung. Lord Tregarthan wollte Miss Jane heiraten, es war
also alles in Ordnung.
    Jane
ging wie eine Schlafwandlerin an ihr vorbei und nach oben.
    Lizzie
ging zurück ins Bett und stupste den Kater zur Seite, der jetzt quer über der
Matratze lag.
    »Es muss
wunderbar sein, Schnorrer«, flüsterte sie sehnsüchtig, »wenn man sich verlieben
und heiraten darf.«

    Am nächsten Tag
wurde das Haus Nr. 67 in der Clarges Street von einer Serie von Unglücksfällen
heimgesucht. Captain Hart war weg, und Felice ebenfalls, und auch der
einfältigste Dummkopf zählte eins und eins zusammen und stellte fest, dass es
zwei ergab.
    Joseph
erzählte es Luke, dem Lakaien der Charterises, Luke erzählte es den Stammkunden
im »Running Footman«, den feineren Dienern nämlich, und so verbreitete sich die
Nachricht, dass Captain Hart seine Frau verlassen hatte, in der Welt -
das heißt, in der Welt, die zählte, vom St. James's Square bis zum Grosvenor
Square. Wer war Captain Hart überhaupt? Bis jetzt hatte sich niemand darüber
Gedanken gemacht, da jedermann sich auf die »Originalität« von Mrs. Hart
konzentriert hatte. Nun sagte es einer dem anderen: Mr. Nevill habe gesagt, er
sei niemand anderer als der Captain Hart, der berühmte Held der
Schlachten bei Abukir und bei Trafalgar.
    Seine
Frau habe ihn dazu gebracht, dass er den Dienst quittierte, und jetzt habe er
sich, nach einer langen Zeit, in -der sie ihm das Leben zur Hölle gemacht
habe, völlig verändert, und er habe sich mit der Kammerzofe aus dem Staub
gemacht, und man könne den Mann dazu nur beglückwünschen! Als die große Welt
ihre heiße Frühstücksschokolade geschlürft und sich um zwei Uhr nachmittags aus
dem Bett erhoben hatte, um den Unbilden eines neuen Tages ins Gesicht zu sehen,
war Mrs. Hart nicht mehr gesellschaftsfähig. In den Augen der feinen Leute war
aus Originalität Vulgarität geworden.
    An
diesem Nachmittag um vier Uhr erwarteten Mrs. Hart und Euphemia in
hocheleganten Kleidern die üblichen Besucher, darunter auch den

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