02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre
Nachrichten und Bildern gibt, ist klar, aber man lese einen beliebigen Roman, der im frühen 20. Jahrhundert erschienen ist, und man wird auf ungebildete Frauen stoßen, die in ihrer geringen Freizeit von Filmstars träumen, Tennisspielern, Entdeckern, Rennfahrern und wagemutigen Kunstfliegern. Man findet diese verträumten Verkäuferinnen und versponnenen Hausmädchen bei Evelyn Waugh, Agatha Christie, P. G. Wodehouse und sämtlichen Genre-Autoren dazwischen. Die Neigung, Idole abgöttisch zu verehren, ist nicht neu. Ebenso wenig die wütende Verachtung, die uns jene spüren lassen, die glauben, sie allein wüssten zwischen den falschen und den wahren Göttern zu unterscheiden. Bei der Geschichte der Zehn Gebote war ich stets auf Seiten von Aaron. Mir gefiel das Goldene Kalb. Bunte biblische Bildtafeln für Kinder zeigten es geschmückt mit Blumengirlanden, dazu schwelgerische Götzendiener, die es glückselig umtanzen, ihre Zimbeln schlagend und einander im ungestümen Freudenrausch in die Arme schließend. Die Musik und die Umarmungen galten in den Köpfen der viktorianischen Illustratoren als schlagender Beweis (besonders die Zimbeln) dafür, dass Aarons Gefolgsleute degeneriert, dekadent, verderbt und zur ewigen Verdammnis verurteilt waren. Als die Party schwer in Schwung ist, kehrt Moses mit den albernen Tafeln unterm Arm zurück, schmettert sie bockig zu Boden, schmilzt das Goldene Kalb ein, zermahlt es zu Pulver, mischt es in ein Getränk und zwingt alle Israeliten, davon zu trinken. Obwohl er doch ein soheiliger Mann Gottes ist, lässt er dreitausend Menschen abschlachten, bevor er seinen rachsüchtigen Hintern wieder hinauf auf den Berg Sinai schwingt, um einen zweiten Satz Gebote zu besorgen. Ich denke, wir sollten die Tatsache feiern, dass wir jetzt unter kulturellen Gegebenheiten leben, die, mögen sie auch ihre Mängel haben oder nicht, uns auf den ersten Blick erkennen lassen, dass Aaron womöglich ein charakterschwacher Hedonist sein mag, sein Bruder aber ein gefährlicher Fanatiker ist. Der Goldbulle ist dem Bullshit von der Schuld allemal vorzuziehen, wie man es auch betrachtet. Wir Menschen sind von der Natur prädestiniert, Götter und Helden anzubeten, unsere Pantheons und Walhallas zu errichten. Ich sehe es lieber, dass sich der Bewunderungsdrang auf alberne Sänger, begriffsstutzige Fußballer und hohlköpfige Filmschauspieler richtet als auf dogmatische Eiferer, fanatische Prediger, militante Politiker und verbissen provokante Kulturkommentatoren.
Und gilt nicht zweitens die Lebensregel, dass niemand ganz so dumm ist, wie wir ihn gerne hätten? Sprecher vom anderen Ende des politischen Spektrums sind smarter, als uns lieb ist, irre Mullahs und verrückte Nationalisten sind ganz und gar nicht so stupide, wie wir uns wünschten. Filmproduzenten, obszöne Radiomoderatoren, Journalisten, amerikanische Militärs – alle erdenklichen Leute, die wir meinen, halbwegs zu Recht als geistig bedeutungslos abschreiben zu können, verfügen über ein Ausmaß an Gerissenheit, Durchblick und Verstand, das weit über das hinausgeht, was uns angenehm ist. Diese unbequeme Wahrheit trifft auch auf diejenigen zu, die wir mit unserem gönnerhaften Mitgefühl überschütten. Wenn uns die sozialen Netzwerkdienstedes digitalen Zeitalters etwas lehren, dann doch, dass nur ein Narr die Intelligenz, Intuition und kognitiven Fähigkeiten der »Massen« unterschätzen würde. Ich spreche hier von mehr als nur der »Weisheit der vielen«. Wenn man über Trivialitäten hinaussieht wie die verwirrende Unfähigkeit der Mehrheit, zwischen
your
und
you’re, its
und
it’s
und
there, they’re
und
their (
wobei es bei allen Beispielen um Unterschiede geht, die nichts mit Sprache zu tun haben, sondern nur mit Grammatik und orthographischer Konvention: Schließlich würden Logik und stilistische Konsistenz die Einfügung eines Genitivapostrophs in das Possessivpronomen
its
anregen, aber die Konvention hat beschlossen, vielleicht um eine Verwechslung mit dem elidierten
it is
zu vermeiden, darauf zu verzichten), wenn man also über solche pingeligen Pedanterien hinausblickt, wird man feststellen können, dass es möglich ist, auch als Fan von Reality-TV, Talentshows und Bubblegum-Pop über Verstand zu verfügen. Man wird auch gewahr werden, dass sehr viele Menschen ganz genau wissen, wie albern und kitschig und trivial ihr Verhalten als Fan ist. Sie geben nicht ihren Verstand ab, bevor sie sich auf einer Fan-Site einloggen.
Oh
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