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02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre

Titel: 02 Ich bin so Fry: Meine goldenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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»Come On Eileen« und Culture Clubs »Do You Really Want To Hurt Me?«. Jemand hatte den Knopf gefunden, auf dem »Achtziger« stand, und voll aufgedreht.
    Gleich um die Ecke von Draycott Place gab es (und gibt es noch immer) in der Tryon Street einen sicheren, niedlichen und höchst chelseahaften Schwulenpub namens Queen’s Head. Dort im Nebenzimmer hörte ich zum ersten Mal von GRID: Gay-Related Immune Deficiency – Immunschwäche bei Schwulen (Aids). Es klang höchst eigenartig. In Amerika starben Schwule, und: »Denk an meine Worte, Dear«, sagte der Barmann, »hier kommt es auch rüber.«
    Die Schwulenszene verhielt sich zu jener Zeit extrem extrovertiert und freizügig. Larry Kramers
Faggots
war das Buch der Ära. Es schilderte eine exzessive Fire-Island-Welt, in der unbekümmerte Hedonisten sich durch ihre endlosen, von Drogen befeuerten Wochenenden besahnten, bespritzten und pumpten, süchtig nach physischer Befriedigung, der sie unbarmherzig und ohne Scham- und Schuldgefühl in spektakulär arrangiertenSzenarien frönten. Ein Lifestyle jenseits von Moral, frei von persönlichen oder medizinischen Konsequenzen. Es gab kein Halten, höchstens in den Lederfesseln, die von der Decke schwangen und den Anreiz boten, unsagbare Akte zu vollziehen. Ich fand das alles so aufreizend wie eine Tupperware-Party. Es war ein seltsames Gefühl, einer Minderheit innerhalb einer Minderheit anzugehören. Die meisten Schwulen strebten danach – oder schienen es zumindest zu tun –, dieser Szene anzugehören und den darin bestimmenden einzelnen Charakteren der Village People nachzueifern, besonders dem Kariertes-Hemd-und-Schnauzbart-Look, der Clone genannt wurde. Heerscharen dieser Individuen in engen Jeans und schweren Stiefeln drängten sich im Coleherne Arms in Earls Court. Ich empfand die Männlichkeit, die Humorlosigkeit und die physische Aufdringlichkeit, die wie billiger Moschusdunst von diesen Leuten ausging, beängstigend und deprimierend. Nicht im Geringsten fühlte ich mich angezogen von den grotesken Karikaturen des Tom of Finland mit ihren Muskelhemden, den Ledermützen und freudlosen Blicken. Mein Traumpartner war ein freundlicher, verträumter, lustiger junger Mann, mit dem ich spazieren gehen, reden, lachen, schmusen und spielen konnte. Dennoch ging ich an Orte wie das Coleherne und das neu eröffnete Heaven, das behauptete, die größte Disco Europas zu sein. Ich ging, weil … nun, weil man das in jenen Tagen eben tat, wenn man schwul war und in den Zwanzigern. Zu spüren, wie hundert Augenpaare mich umgehend musterten und aussonderten, war demütigend und beschämend und erinnerte mich daran, wie man unter der Schuldusche abgeschätzt worden war. Ablehnung, Verachtung und Mangel an Interesse zeigten sich ohneUmschweife, gedankenlos und unmissverständlich. Die stampfende Musik, das Sniffen von Poppers, das Toben auf der Tanzfläche und diese endlos sich beharkenden, forschenden, geilen Blicke, all das verhinderte jedes Gespräch oder Lachen. Ich hatte nicht das geringste Interesse, jemanden aufzureißen oder selbst aufgerissen zu werden, und ganz sicher hatte ich nicht das Bedürfnis, zu tanzen, aber ich nehme an, ich dachte, wenn ich nur oft genug hinginge, würde irgendwann der Durchbruch kommen, und ich fände Gefallen daran, so wie ich auch meinen Durchbruch mit ungesüßtem Tee erlebt hatte. Ich brachte es zu keinem Durchbruch in der Schwulenszene. Ich lernte die Discos hassen und die Bars und alles, was sie repräsentierten. Ich bin nicht sicher, ob ich überzeugend behaupten kann, dass es moralische Abscheu war, die meinen Hass nährte, sondern ich glaube, es war das unerbittliche Bombardement, dem mein
amour propre
, mein Ego, ausgesetzt war.
    Probleme mit meiner Physis sind, wie Sie inzwischen bemerkt haben dürften, von zentraler Bedeutung in meiner Lebensgeschichte. Das hemmungslose Stillen meines leiblichen Appetits auf der einen Seite und auf der anderen die bekümmernde Aversion gegenüber meiner körperlichen Erscheinung sowie die Furcht vor ihr standen sämtlich unter der Aufsicht einer pathologischen persönlichen Theologie, die mich für den größten Teil meines Lebens einer wahren Seelenruhe beraubt hat. Ich möchte weder selbstmitleidig klingen noch mir das Privileg zusprechen, in dieser Hinsicht von einzigartiger Empfindsamkeit oder Empfänglichkeit für Bekümmernisse zu sein, aber es vergeht so gut wie keine Minute des Tages, in der ich mich nicht zahlloser Übertretungen zutiefst

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