02_In einem anderen Buch
irgendjemand
geführt haben.«
»Nun, das hat aufgehört«, sagte ich. »Es wird nicht wieder
vorkommen.17 Oh, Scheiße!« 18
»Was meinen Sie mit Oh, Scheiße!«
»Ach, nichts –«
Ich ließ einen kopfschüttelnden Bowden zurück, flüchtete
auf die Damentoilette und überprüfte die Kabinen, um sicher zu
sein, dass ich allein war. »Miss Havisham, sind Sie noch da?« 19
»Ach, wissen Sie, Ma'am, bei uns sind die Gebräuche etwas
anders. Die Leute fluchen andauernd.« 20
»Ich komme sofort, Ma'am.«
Ich biss mir auf die Lippe, rannte zurück ins Büro, griff nach
meinem Jurisfiktion-Buch und meiner Jacke und wollte gerade
wieder davonrennen, als –
»Thursday!« rief eine laute, schneidende Stimme, die nur
Flakk gehören konnte. »Ich habe die Preisträger draußen im
Korridor!«
»Tut mir schrecklich leid, Cordelia, aber ich muss dringend
aufs Klo!«
»Sie denken doch nicht etwa, dass ich darauf hereinfalle?«
knurrte sie höhnisch.
»Aber es ist wirklich wahr.«
»Und wozu brauchen Sie dann das Buch?«
17 »Hallo, Thursday? Hier spricht Miss Havisham.«
18 »Ich will doch sehr hoffen, dass ich mich da gerade verhört habe!«
19 »Ja, ich bin da, aber ich bin entsetzt über diese vulgäre Ausdrucksweise!
So geht das nicht, junge Dame!«
20 »Wirklich? Na, von meinen Lehrlingen will ich diese Sprache nicht
hören! Aber für diesmal sei dir vergeben. Hör zu, ich brauche dich. Komm
sofort nach Norland Park, Kapitel Fünf, erster Absatz – du findest es in
dem Reiseführer, den Mrs Nakijima dir hinterlassen hat.«
»Ich lese immer, wenn ich auf dem Klo sitze.«
Sie verengte ihre Augen zu Schlitzen, und ich verengte meine
Augen zurück.
»Na schön«, sagte sie schließlich. »Aber ich komme mit.«
Sie lächelte den beiden Gewinnern ihres schwachsinnigen
Preisrätsels zu, und dann trabten wir zusammen in Richtung
Toilette.
»Fünf Minuten! Mehr nicht!« sagte sie, als ich mich in eine
der Kabinen zurückzog.
Ich schlug das Buch auf und las:
»So manche Träne wurde bei ihrem letzten Lebewohl von einem so geliebten Ort vergossen. »Liebes, liebes Norland!« sagte
Marianne, als sie am letzten Abend ihres Aufenthalts allein
umherwanderte … «
Die enge Melamin-Zelle löste sich auf und an ihre Stelle trat
ein großer, ins Licht der Abendsonne getauchter Park. Die
Dämmerung ließ die Schatten verschwimmen und das Haus in
rotem Glanz glühen. Eine leichte Brise zupfte am viktorianischen Kleid der jungen Frau, die langsam über den Rasen
schlenderte und entzückt auf die –
»Lesen Sie eigentlich immer laut auf der Toilette?« fragte
Cordelia von außen.
Der Park verschwand wie der Blitz, und ich saß wieder auf
der grünen Plastik-Klobrille.
»Ja, immer!« erwiderte ich. »Und wenn Sie mich nicht in Ruhe lassen, werde ich nie fertig.«
»… wann werde ich aufhören, dir nachzutrauern – wann lernen, mich woanders zu Hause zu fühlen? – Ach, glückliches
Haus, wüßtest du, was ich leide, da ich dich jetzt von diesem
Platz aus betrachte, von dem ich dich vielleicht nie mehr betrachten werde! Und ihr, ihr wohl vertrauten Bäume! – Ihr werdet
weiter …«
Das Herrenhaus kehrte zurück, und die junge Dame sprach
wieder leise mit mir, während ich ihre Worte las und langsam
in das Buch hineindriftete. Ich saß jetzt nicht mehr auf einer
SpecOps-Damentoilette, sondern auf einer weiß gestrichenen
Gartenbank. Ich hörte erst auf zu lesen, als ich sicher war, dass
ich gänzlich in Verstand und Gefühl eingetaucht war. Jetzt
konnte ich in Ruhe zuhören, wie Marianne Dashwood ihren
Monolog beendete:
»… und unberührt von den Veränderungen derer, die in eurem Schatten wandeln! – Aber wer wird bleiben, um sich eurer zu
erfreuen?«
Sie seufzte dramatisch, presste die Hände an ihre Brust und
schluchzte einen Moment oder zwei. Dann warf sie dem großen
weißen Haus noch einen langen Blick zu und wandte sich mir
zu.
»Hallo!« sagte sie freundlich. »Sie hab ich hier ja noch gar
nicht gesehen. Arbeiten Sie vielleicht für dieses JurisDingsbums-da?«
»Müssen wir nicht vorsichtig sein mit dem, was wir sagen?«
fragte ich und sah mich um.
»Aber nein!« rief Marianne mit einem köstlichen Lachen.
»Das Kapitel ist ja zu Ende, und außerdem ist das ein Buch in
der dritten Person. Bis morgen früh, wenn wir nach Devon
abreisen, können wir tun und lassen, was wir wollen. Die nächsten zwei Kapitel sind sowieso alles Exposition – ich habe
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