02_In einem anderen Buch
Rätsels besitzt, aber
bislang bleibt das Dasein jenseits der Ausbuchung ein unerforschtes Geheimnis.
Bowdlerisierer: Diese Gruppe von Fanatikern bemüht sich,
glücklicherweise vergeblich, alle sexuellen Anspielungen,
Obszönitäten und Flüche aus der Literatur zu entfernen. Ihr
Vorbild ist der Philanthrop und Herausgeber Thomas
Bowdler, der sich dadurch auszeichnete, dass er Zeilen aus
Shakespeares Werken herausstrich, um ihn zur »Lektüre für
die ganze Familie« zu machen und »das transzendentale
Genie des Dichters in noch größerem Glanze erstrahlen zu
lassen«. Bowdler starb bereits 1825, aber seine Denkart lebt
weiter. Überall gibt es teils illegale, teils beamtete Bowdlerisierer, die sein Werk zu vollenden versuchen. Alle Versuche,
ihre Tätigkeit zu unterbinden und ihren Fanatismus zu zügeln, sind bisher gescheitert.
DER WARRINGTON-KATER
– JurisfiktionFührer zur Großen Bibliothek (Glossar)
Ich sah zu, wie Marianne verschwand, und als mir bewusst
wurde, dass die Worte um sich ihrer zu erfreuen am Ende des
Fünften Kapitels stehen, während die Dashwoods zu Beginn des
Sechsten Kapitels bereits unterwegs sind, beschloss ich, noch
einen Augenblick zu verweilen und zu sehen, wie so ein Kapitelschluss funktioniert. Schließlich wollte ich Landen doch was
zu erzählen haben, wenn ich ihn wieder sah. Wenn ich einen
Donnerschlag oder etwas ähnlich Dramatisches erwartet haben
sollte, so wurde ich freilich enttäuscht. Es geschah überhaupt
nichts. Die Blätter raschelten leise, die Ringeltauben gurrten
beharrlich und ein Eichhörnchen hopste über den Rasen. Ich
hörte einen Motor starten, und ein paar Minuten später erhob
sich ein Doppeldecker von der Wiese hinter den Rhododendronbüschen, umkreiste das Haus und flog dann in Richtung der untergehenden Sonne.
Ich stand auf und ging über den gepflegten Rasen zum Haus.
Norland wird in Verstand und Gefühl nie genauer beschrieben,
aber es war genauso großzügig, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Vom Haupteingang hatte man einen schönen Blick über eine
weite Parklandschaft, die mit großen Eichen akzentuiert war.
Am Horizont sah man dunkle Wälder und dahinter gelegentlich einen Kirchturm. In der Einfahrt standen ein Bugatti 35B
und ein weißes, aufgesatteltes Streitross, das friedlich ein paar
Grashalme kaute. Am Sattelknopf war ein großer weißer Hund
festgemacht, der seine lange Leine allerdings um einen Baum
gewickelt hatte und daher in seinen Bewegungen ziemlich
gehemmt war.
Ich stieg die breite Treppe hinauf und bediente den Klingelzug. Innerhalb einer Minute öffnete mir ein uniformierter
Diener und sah mich ausdruckslos an.
»Thursday Next«, sagte ich. »Im Auftrag von Jurisfiktion. Für
Miss Havisham.«
Der Diener, der einen auffallend gewölbten Schädel und
Froschaugen hatte, hielt mir die Tür auf und rief: »Thursday
Next – im Auftrag von Jurisfiktion.«
Ich trat durch die Tür, aber die Halle im Inneren des Hauses
war leer. Ich wollte den Diener gerade fragen, wo ich hingehen
sollte, als er sich steif verneigte und mich unendlich langsam zu
einer weiteren Tür führte, die er mir aufhielt und dabei einen
Punkt weit oberhalb meines Kopfes fixierte. Ich bedankte mich,
trat ein und befand mich im alten, weiß-blau gestrichenen und
reichlich mit goldgerahmten Spiegeln und zierlichen Stukkaturen geschmückten Ballsaal des Hauses. Das Glasdach ließ noch
die letzten Strahlen der Abendsonne herein, aber zugleich
waren schon überall Diener damit beschäftigt, die Wandleuchter vorzubereiten.
Es war schon eine Weile her, dass die Räumlichkeiten der
Jurisfiktion als Ballsaal benutzt worden waren. Überall standen
Sofas, Schreibtische, Rollschränke und Aktenstapel herum. An
einer Wand stand ein Tisch mit Kaffeetassen aus feinem Porzellan und leckeren Häppchen bereit. Etwa zwei Dutzend Personen standen herum und plauderten miteinander, einige hatten
sich bereits hingesetzt, andere starrten mit leerem Blick in die
Luft. Am anderen Ende des Saals stand Akrid Snell und sprach
in einen kleinen Grammophontrichter, der aus einem biegsamen Messingrohr aufragte. Ich versuchte, seine Aufmerksamkeit zu wecken, aber in diesem Augenblick –
»Bitte«, sagte eine Stimme direkt neben mir. »Mal mir ein
Schaf!«
Ich blickte zur Seite und sah einen schlanken Jungen mit
goldenen Haaren, der nicht älter als zehn sein konnte und mich
mit entnervender Dringlichkeit ansah.
»Bitte«, wiederholte er.
Weitere Kostenlose Bücher