02_In einem anderen Buch
von dir wissen kann.«
»Das ist ein ziemlich großer Haken«, stellte ich fest.
»Es ist in der Tat nur die zweitbeste Lösung«, gab Daddy zu.
Ich dachte einen Augenblick nach. »Ich werde also auch gar
nicht verliebt in ihn sein?«
»Ich fürchte, nein. Es kann sein, dass du noch eine gewisse
Rest-Erinnerung haben wirst, und unerklärliche Gefühle für
Menschen, die du eigentlich gar nicht kennst.«
»Werde ich sehr verwirrt sein?«
»Ja.« Er sah mich mit ernstem Gesicht an. Sie alle sahen mich
ernst an. Sogar Lady Hamilton, die sich unauffällig in Richtung
des Sherrys bewegt hatte, hielt einen Augenblick inne und
starrte mich an.
Es war offensichtlich, dass es vernünftig war, wenn ich mich
dünn machte. Aber keinerlei Erinnerung an Landen zu haben?
Da musste ich nicht lange nachdenken. »Nein, Dad. Sehr lieb
von dir, aber nein danke.«
»Ich glaube, du hast mich nicht richtig verstanden«, sagte
mein Vater mit seiner besten Ich-glaube-du-gehst-besser-in-dein-Zimmer-Stimme. »In einem Jahr kannst du wieder zurückkommen, und alles wird so sein wie –«
»Nein. Ich will nicht noch mehr von Landen verlieren.«
Ich hatte eine Idee.
»Außerdem gibt es einen Ort, wo ich hingehen kann.«
»Wo denn?« fragte mein Vater. »Wo könntest du hingehen,
ohne dass dich Lavoisier findet? Rückwärts, vorwärts, seitwärts
oder anderwärts – sonst gibt es doch nichts weiter!«
Ich lächelte. »Da irrst du dich, Daddy. Es gibt noch etwas anderes. Einen Ort, wo niemand mich findet. Nicht einmal du.«
»Schätzchen –!« flehte er. »Es ist absolut notwendig, dass du
das ernst nimmst! Wo willst du denn hingehen?«
»Ich«, sagte ich langsam, »werde mich in ein gutes Buch zurückziehen.«
All ihren Beschwörungen und Bitten zum Trotz verabschiedete
ich mich von Mum, Dad und Lady Hamilton, schlich mich aus
dem Haus und brauste mit Joffys Motorrad zu meiner Wohnung. Ich parkte direkt vor der Tür, ohne mich um die Goliath-und SpecOps-Agenten zu kümmern, die immer noch auf mich
warteten. Gemächlich ging ich ins Haus. Sie würden mindestens
zwanzig Minuten brauchen, um ihren Vorgesetzten Bericht zu
erstatten und sich Befehle geben zu lassen. Bis die Verstärkung
eingetroffen war und sie beginnen würden, die Tür aufzubrechen, würde noch mehr Zeit vergehen – und ich brauchte
wirklich nur ein paar Sachen zu packen.
Ich hatte meine Erinnerungen an Landen, die mussten mir
genügen, bis ich ihn zurückkriegte. Denn dass ich ihn zurückkriegen würde, stand außer Zweifel. Ich brauchte allerdings
etwas Zeit, um mich zu erholen und unser Kind möglichst ohne
Ärger und Störungen auf die Welt zu bringen.
Ich packte vier Dosen Moggilicious-Katzenfutter, zwei Pakete Mintolas, eine große Packung Suppenwürfel, zwei Dutzend
AA-Batterien, ein Bild von meiner Familie und ein paar Kleider
in eine große Reisetasche. Auch das Exemplar von Jane Eyre, in
dem Acherons Kugel steckte, ließ ich nicht zurück. Ich
schnappte mir die verschlafene und verwirrte Pickwick, packte
sie ohne viel Federlesens samt ihrem Ei in die Tasche und zog
den Reißverschluss zu, bis nur noch ihr Kopf heraussah. Dann
schob ich meinen Sessel so hin, dass ich die Tür sehen konnte,
und wartete. Die Ausgabe von Große Erwartungen hielt ich im
Schoß und las leise. Aber ich war kein natürlicher Buchspringer,
und ohne mein Jurisfiktion-Buch brauchte ich die Angst vor
einer Verhaftung als Antrieb, um die Grenzen der Fiktion
tatsächlich überspringen zu können.
Beim ersten Klopfen begann ich laut vorzulesen und ließ
auch nicht davon ab, als laute Rufe ertönten, ich sollte gefälligst
die Tür öffnen, als gedämpfte Rammstöße und das Geräusch
von splitterndem Holz folgten. Aber erst als die Tür tatsächlich
aus den Angeln brach und in den Raum fiel, tauchte ich ganz in
das schmuddelige Innere von Großen Erwartungen ein und
befand mich in Satis House.
Miss Havisham war begreiflicherweise schockiert, als ich ihr
erklärte, was ich brauchte, und noch etwas schockierter beim
Anblick von Pickwick, aber sie erklärte sich einverstanden und
regelte auch die Einzelheiten mit dem Protokollführer – unter
der Voraussetzung, dass ich meine Ausbildung fortsetzte. In
aller Eile wurde ich in das FigurenAustauschProgramm aufgenommen und erhielt eine Nebenrolle in einem unveröffentlichten Buch im Brunnen der Manuskripte. Die Frau, die ich ersetzen sollte, hatte schon seit langem einen Schauspielkurs an
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