02 Jesses Maria: Wechseljahre
die gefärbte Pumuckelfrisur und die rote Brille sie auch nicht jünger machen. Aber so ist das mit Isa: Keiner sagt ihr die Wahrheit, weil sie bei jeder Kritik sofort denkt, jetzt wär Krieg.
Zum Beispiel, als ihre Mädchen Abitur machten, hörten wir von Isa:
„Die beiden haben ihre Chance, ich hatte keine. Ich musste nach der mittleren Reife arbeiten gehen. Ich musste den Vater mit durchbringen und als Dank dieKinder allein großziehen. Immer arbeiten, immer dienen, immer anderen Leuten die Scheiße unter‘m Arsch wegputzen …“
Wenn ich Isa traf und sie ihre Tiraden losließ, hatte ich oft ein schlechtes Gewissen, weil ich mit Manni verheiratet war, wir in einem Neubau wohnten und weil unsere Geldsorgen und Probleme sich in Grenzen hielten.
Isa war verbittert. Daran war Reinhard schuld, weil er sie sitzengelassen hatte.
Isa war arm. Daran waren die Kinder schuld, weil sie studierten.
Isa hatte es in den Gelenken. Daran war das Wetter schuld. Daran, dass nichts dagegen half, war die Politik schuld. Wäre Isa reich und privat versichert gewesen, hätte man ihr helfen können, dessen war sie sich sicher.
Hätte Isa Geld gehabt, wäre sie für immer in den Süden gegangen, denn in der Sonne, in der Wärme, hatte man keine Gelenkschmerzen.
Wäre Isa ein Mann gewesen, hätte sie eine andere große Karriere gemacht, mehr verdient, und dann hätte sie auswandern können.
Zur Neidvermeidung hab ich Manni manchmal ein bisschen schlecht gemacht. Isa sollte ruhig wissen, dass andere Leute auch ihre Probleme haben.
Sie legte dann den Kopf schief, guckte mich mit kleinen Drosselaugen hinter der Brille an und sagte: „Dir ist es doch immer gut gegangen. Ich hatte nie was. Vater absent, Mutter tot, Haus alt, Mann faul, Kinder teuer. Patienten undankbar, Freunde falsch. Was hab ich denn schon?“
Sie hat dann irgendwann mal drei Jahre Pause gemacht. Als Iris und Jasmin mit dem Studium fertig waren, ging die eine als Archäologin nach Afrika und die andere ist Architektin und lebt auf Sizilien.
„Entweder leben die Kinder im Ausland jetzt Isa‘s Traum, oder sie sind vor der alten Krawallschachtel abgehauen“, sagte Eva Hansmeier im Lottoladen.
Isa war nicht stolz auf ihre Töchter, sie sagte:
„Die hatten ihre Chance, ich hatte keine, ich hab mich krumm gelegt, damit die Damen studieren können, und was ist der Dank: Sie lassen mich hier allein, allein mit dem alten maroden Haus, mit meiner Armut, meiner Krankheit und meinem Alter. Die eigenen Kinder!“
Isa hat sich dann selbstständig gemacht, mit einem Kreativstudio. Da bot sie Workshops für blaue Seidenmalerei auf gelben Krawatten an, Origamifalten von Elefanten aus Euroscheinen, Tonputtentöpfern und Digitalfotografiekurse für Aquaristiker.
Isa sagte, sie sei immer ein sehr kreativer Mensch gewesen, jetzt wolle sie mit ihrer Kunst bitteschön auch mal Geld verdienen.
Aber Isa war irgendwie am falschen Ort zur falschen Zeit, und bald waren die ignoranten Kulturbanausen schuld, dass sie ihr Kreativstudio wieder schließen musste.
Sie arbeitete dann im mobilen Pflegedienst und machte nebenbei das Abitur. „Mit einskommadrei!“ sagte sie immer dazu. Danach kam die Zeit, in der wir sie IHA nannten. „Ich hab Abitur“, das war ihr Standardsatz.
Damals reichten ihre Mundwinkel schon fast bis zumKinn. Dann hat sie sich bei der VHS angemeldet und lernte Holländisch für Anfänger. Sie ließ sich einen Glitzerstein in den Nasenflügel stechen und trug bauchfreie rosa Shirts und bunte Rucksäcke, an denen hinten eine Diddlmaus baumelte.
Eva Hansmeier meinte, Isa hätte sich mächtig in ihren Holländischlehrer verknallt.
Eines Tages kam sie in den Unterricht und da war der hübsche blonde Willem nicht mehr da. Er war als Animateur in den Club Aldiana nach Tunesien abgehauen.
Isa‘s Mundwinkel erstarrten nun und zeigten nie wieder nach oben.
Seitdem verkündete sie nicht mehr: „Ich hab Abitur“, sondern: „Ich wandere aus! Nach Spanien. Im Süden geht‘s mir endlich besser. Ich will eine Finka, einen Hund und eine Vespa, und dann sitze ich am Pool und mach ein neues Kreativstudio auf.“
Neulich habe ich sie gefragt, ob sie denn schon gut spanisch spricht und wann es losgehen soll. Isa sagte, sie würde sich von mir nicht unter Druck setzen lassen, von mir nicht.
Ich stotterte: „Du willst schon so lange weg, du bist doch schon lange hier unglücklich, ich wollte ja nur wissen, wie weit…“
Sie fiel mir ins Wort, ob es denn irgendwo ein
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