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02 Jesses Maria: Wechseljahre

02 Jesses Maria: Wechseljahre

Titel: 02 Jesses Maria: Wechseljahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Berling
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Gesetz gäbe, das ihr vorschriebe, wann sie glücklich zu sein hätte und wann nicht und wie ich dazu käme, sie so angreifen, wo ich doch selber genug Pleiten hingelegt hätte: gescheiterte Ehe, Haus verkauft, armseliger Posten in der Registratur, Single und die Kinder weit weg.Ob ich es brauchte, sie nieder zu machen, um mich besser zu fühlen.
    Ich bekam Schnappatmung und mir fiel keine Antwort ein.
    Seither ging ich ihr aus dem Weg.
    Das ist jetzt ein halbes Jahr her. Vielleicht war der Adventskalender ein Friedensangebot?
    Eben war Frau Schweiger aus der Personalabteilung hier. „Haben Sie auch einen Kalender von IWA bekommen?“, fragte sie. Iwa?
    „Sie sagt doch in jedem dritten Satz: Ich wandere aus, deswegen hab ich sie so getauft - IWA“, kicherte Frau Schweiger. Sie hat also auch einen Kalender gekriegt.
    Als Abschiedsgeschenk. „Weil das mein letztes Weihnachten in diesem beschissenen, kalten Land mit diesen unfreundlichen, ewig neidischen und immer unzufriedenen Menschen ist“, hatte Isa zu Frau Schweiger gesagt.
    Frau Schweiger und ich haben jetzt zwei Rubbellose für Isa gekauft. Wir haben gewettet, wer Schuld sein wird, wenn es Nieten sind.
    Wir, weil wir die falschen Lose ausgesucht haben?
    Eva Hansmeier vom Lottoladen, die sie verkauft?
    Der Besitzer des Hauses, in dem der Lottoladen ist?
    Die Politik, weil sie Glücksspiel erlaubt?
    Das System, das arme Menschen dazu bringt, auf Lotteriegewinne zu hoffen?
    Ich wette, das Wetter ist Schuld.

Ein pikantes Detail
    Gestern war ich auf dem Weihnachtsmarkt am Inowraclaw-Platz. Diesen Namen hat der Platz von unserer polnischen Partnergemeinde. Wenn man ihn geschrieben sieht, kriegt man Zustände und weiß nicht weiter, aber ausgesprochen wird er eigentlich ganz einfach: INO-FRATZ-LAF.
    Die Werbegemeinschaft der Innenstadt organisiert den Weihnachtsmarkt immer sehr schön: Unter den alten Platanen ist eine Schlittschuhbahn aufgebaut, daneben gibt es ein kleines Kinderkarussell und rundum stehen viele Buden mit Glühwein, Eierpunsch, Bier, Bratfisch, Döner und Pizza. Alle Buden sind mit Tannenzweigen, künstlichem Schnee aus Watte und Lichterketten dekoriert, und über den ganzen Platz klingen Weihnachtslieder. Viermal am Tag treten auf der kleinen Bühne heimische Chöre und Musikgruppen der Schulen auf, gestern war die gemischte Samba-Truppe der Arbeiterwohlfahrt in original brasilianischen Kostümen da, toll war das, wirklich toll.
    Während die kleinen Kinder also Karussell fahren und die großen Schlittschuh laufen, treffen sich die Erwachsenen zum weihnachtlichen Imbiss mit Umtrunk.
    An einer Seite der Eisbahn ist eine Terrasse, wunderschön geschmückt mit Lichtergirlanden, Heizpilzen und weißen Sonnenschirmen, falls es regnet. Strohballen sind zu Mauern aufgeschichtet, damit man windgeschützt trinken kann.
    In einer der Glühweinbuden hab ich Olli vor vier Jahren zuletzt gesehen. Er jobbte dort und freute sich sehr, als wir uns nach langer Zeit zufällig wieder trafen.
    Olli Neumann, der blonde Hüne, der aussah wie Sascha Hehn und mit dem ich 1976 ein paar Monate lang „ging“.
    Ich kannte ihn schon länger, er war in meiner Parallelklasse. Süß war der schon mit dreizehn, damals schwärmte ich mal sehr für ihn, aber als ich ihn eines Tages mit seiner Mutter im Freibad traf und er sich von seiner Mutter nach dem Schwimmen abtrocknen ließ, hatte Olli erst mal verschissen.
    Wir hatten zwar immer Kontakt, gingen in der großen Pause auf dem Schulhof zusammen rum oder standen bei den Großen in der Raucherecke an der Aula, aber das war alles mehr so kumpelmäßig.
    Als Olli in der Klinik von Dr. Henkel die Mandeln rauskriegte, das muss Anfang 1976 gewesen sein, habe ihn besucht. Komisch war das, einen Klassenkameraden im gestreiften Pölter und Socken im Bett zu sehen, auf dem Nachtisch Tritop und Graninisaft und Babyrosen mit Freesien und stapelweise Fix- und Foxi-Hefte. Da kam Olli mir ein bisschen unreif vor. Aber er war auch süß, irgendwie kuschelig, weil er so ruhig war und so schön lächelte.
    Im Februar hatte Olli Geburtstag, er wurde sechzehn.
    Er lud mich zu seiner Fete ein. Zuhause gab es ein furchtbares Theater, weil meine Mutter meinte, ich wäre erst fünfzehn und müsste mich weiß Gott nicht nachts auf Orgien rumtreiben, und das mit fremdenMännern und in irgendwelchen Kellern.
    Es dauerte ewig, bis sie begriff, dass die Party im Beatkeller von Olli‘s Eltern stattfand, dass die Eltern den ganzen Abend zu Hause sein

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