02 - komplett
von einem Skandal berichten.“
23. KAPITEL
Guy ließ den Blick durch den Raum schweifen. Hinten stand Susan mit dem Kerzenlöscher in der Hand, bereit für ihr nächstes Stichwort. Ackland war auf der anderen Seite und ließ die Nugents keinen Moment aus den Augen. Schließlich verweilte sein Blick auf Hester, die so lieblich anzuschauen war in ihrem grünen Abendkleid und mit den blitzenden Diamanten. Stolz stellte er fest, dass sie sich keine Erregung anmerken ließ, obwohl sie genau neben der Frau saß, die die Ursache so vieler beängstigender Momente in diesem Haus war.
Wie sehr wünschte er sich, alles wäre vorbei und Hester nicht mehr in Gefahr, befreit von den Nugents und deren Intrigen. Und er sehnte sich danach, mit ihr allein zu sein, damit er den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte, wieder gutmachen und sie zu seiner Frau machen konnte – wenn sie ihn noch haben wollte. Die schönen braunen Augen, die ihn in seinen Träumen heimsuchten, waren jetzt auf sein Gesicht gerichtet. Er las Fragen in ihnen und ein Vertrauen, das er hoffte, nicht enttäuschen zu müssen.
Es war Zeit zu beginnen. „Vor vierundfünfzig Jahren ließ ein Gentleman aus dieser Gegend ein kleines Landhäuschen abreißen, um als Investition, wie er verlauten ließ, jenes Haus zu erbauen, in dem wir uns heute Abend befinden. Schon bald danach zog eine junge Witwe ein. Sie erwartete damals ein Kind und erwarb das Mitgefühl ihrer neuen Nachbarn, als sie von ihrer tragischen Geschichte hörten. Ihr Gatte, ein Händler, war während einer Reise zu den Westindischen Inseln auf See verschollen.
Die junge Witwe, obwohl sehr schön und von ausgezeichneter Erziehung, wies freundlich alle Annäherungsversuche der hiesigen Junggesellen ab.“
Guy senkte die Stimme ein wenig. Seine Zuhörer hielten unwillkürlich den Atem an.
„Niemand schien den seltsamen Zufall zu bemerken, dass die Dame, eine Mrs.
Parrish, Diana hieß und über dem Eingang des Hauses eine Mondsichel eingraviert war – das Zeichen von Diana, der Jagdgöttin. Ihre Tochter wurde im Januar des folgenden Jahres geboren und versprach genauso schön zu werden wie ihre Mutter.
Keine Dame hätte respektabler und anständiger sein können als diese. Der einzige Mann, den man je das Haus betreten sah, war der Vikar.“
Er machte eine wohl kalkulierte kleine Pause. Sein Publikum hing an seinen Lippen.
„Was man jedoch nicht sah, war, dass ihr Vermieter auch ihr Geliebter war und das Haus jede Nacht durch einen Geheimgang betrat, der schon beim Bau angelegt worden war. Dieser Gentleman war vor mehr als vier Jahren eine Affäre mit Mrs.
Parrish eingegangen, einer sehr talentierten Schauspielerin.“
Guy ließ ein wenig Zeit verstreichen, damit vor allem die empfindlicheren Gemüter diese Neuigkeit verdauen konnten. Doch alle lauschten mit unverhohlenem Genuss.
„Alles ging gut. Diana war diskret, ihr Kind wurde von Tag zu Tag reizender, und ihr Geliebter führte sein Doppelleben so geschickt, dass seine Familie nichts ahnte. Was er allerdings nicht bedacht hatte, war die Unberechenbarkeit des Schicksals. Der Schlag, der ihn im Alter von nur vierzig Jahren traf, einen Tag vor dem dritten Geburtstag seiner Tochter, kam völlig unerwartet. Seine trauernde Witwe überließ die Regelung aller Angelegenheiten ihrem Sohn, einem hochmütigen jungen Spund von siebzehn, der keine Zeit verlor und die Papiere seines Vaters durchging. Er brauchte nicht lange, um zu begreifen, was sein Vater damit gemeint hatte, dass Moon House eine Investition sei.“
Seine Zuhörer wurden unruhig. Er fuhr fort: „In der Begleitung dreier Diener verschaffte er sich gewaltsam Eintritt zum Moon House und überfiel Diana in ihrem Ankleidezimmer, wo sie, nur in ihr Nachthemd gekleidet, an ihrer Frisierkommode saß. Versetzen Sie sich, wenn Sie können, in ihre Gemütsverfassung an jenem Morgen. Vor drei Tagen war ihr Geliebter, der Mann, den sie von ganzem Herzen liebte und der ihr einziger Halt gewesen war, überraschend gestorben und hatte ihr nur ihr Kind und einen einzigen Besitz von Wert gelassen – eine wunderschöne Perlenkette, die sie immer trug.“
Einige von Hesters Gästen stöhnten leise auf, andere beugten sich unwillkürlich vor, um kein Wort zu verpassen.
„Dianas Kind schrie vor Angst, man riss ihr die Perlenkette herunter und das Nachthemd vom Leib, sodass sie nackt und gedemütigt vor den drei Männern stand.
Der Sohn ihres Geliebten ließ ihr eine Stunde Zeit, um zu packen. Und
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