02 - komplett
darüber zu reden. Er muss selbst entscheiden, ob der den Gerüchten über sie Glauben schenkt.“
„Und – tut er das?“
„Anscheinend ja. Warum spricht er sonst nicht mit Ihnen darüber?“
Ein leises Klopfen an der Tür ließ beide Frauen aufsehen, und gleich darauf kam Jethro mit einem Brief in der Hand herein. „Für Lady Broome, Miss Hester.“
Hester erkannte die kühne Handschrift und erhob sich höflich, um Georgiana in Ruhe die Nachricht ihres Bruders lesen zu lassen.
Kurz darauf entfuhr ihr ein erstaunter Laut. Nach einem rätselhaften Blick auf Hester sagte sie: „Er ist nach London abgereist.“ Und etwas leiser: „Wird genug Zeit dafür sein?“
„Für die Weihnachtsvorbereitungen in seiner Abwesenheit?“, fragte Hester. „Sie können ganz ruhig alles Parrott überlassen. Es gibt nichts, was Parrott nicht zustande brächte.“
Es war ihr, als höre sie Georgiana flüstern: „Das jedoch nicht.“
24. KAPITEL
Hester wünschte sich nur, man ließ sie in aller Ruhe Guys Verlust betrauern, doch stattdessen bekam sie einen Morgenbesuch nach dem anderen. Ihre neuen Freunde hatten das Bedürfnis, ihr zu sagen, wie tapfer sie war und dass sie den Nugents noch nie vertraut hätten.
„Morgen ist Heiligabend“, verkündete Hester mit gespielter Fröhlichkeit. Es ging ihr nicht schlechter als vor ihrer Begegnung mit Guy Westrope, warum zerfloss sie also gerade jetzt in Selbstmitleid, da die Gefahr endlich gebannt war und sie mit ihren Freunden in Sicherheit ihr neues Zuhause genießen konnte? „Wir müssen unsere Geschenke verpacken, einen großen Julklotz fürs Weihnachtsfeuer finden und so viel backen und kochen wie möglich, damit Weihnachten ein wahres Fest wird.“
Doch in Wirklichkeit musste sie nur immer wieder an Guy denken. Sie fühlte sich einsam und verlassen, und doch wusste sie, dass es sie nicht kümmern sollte, was er tat und wo er war.
Bald war es Zeit, zu Bett zu gehen, und Hester war sicher, auch heute Nacht keinen Schlaf finden zu können. Nachdem Susan sie allein gelassen hatte, starrte sie blicklos aus dem Fenster. Die Uhr schlug zwölf. Dann hörte sie leise Schritte auf der Treppe.
Jemand öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Das liebe Mädchen, dachte Hester. Obwohl sie von der harten Arbeit todmüde sein musste, schaute sie noch einmal nach ihrer Herrin.
Doch der Schatten, der auf den Boden fiel, war länger und breiter als der Susans, und die Schritte kamen von schweren Stiefeln. Hester setzte sich erschrocken auf, als Guy einfach hereinkam und die Tür hinter sich schloss, als wäre er bei sich zu Hause.
Er entzündete mit seiner Kerze die Kerzen auf ihrem Kaminsims und lächelte ihr auf die liebenswerteste Weise zu.
„Gott, ist es heute kalt.“ Er schlüpfte aus seinem Mantel, warf ihn über die Lehne des Sessels und setzte sich, um an einem seiner Stiefel zu ziehen.
„Was machst du da, wenn ich fragen darf? Woher kommst du?“ Sie musste träumen.
Die Überreizung der letzten Tage musste ihren Geist verwirrt haben.
„Ich ziehe die Stiefel aus.“ Er warf seinen linken Stiefel zur Seite und zog am rechten.
„Und ich war in London, wie ich dir schon sagte. Oder zumindest habe ich es Georgy mitgeteilt.“
„Aber warum? Ich meine“, fuhr sie hastig fort, während er ein Dokument aus der Jacke holte und auf den Tisch legte, „warum bist du hier?“
„Um mich aufzuwärmen.“ Er erhob sich mit einem Stöhnen. „Bei dieser Kälte kommt einem die Fahrt noch länger vor als sonst.“
„Du kannst dich zu Hause aufwärmen“, warf Hester ein.
„Nur um auf dem Weg zu dir wieder zu frieren?“ Seine Jacke folgte dem Mantel auf den Sessel.
Hester sah ihn fassungslos an. „Wie bist du hereingekommen?“
„Durch die Geheimtür.“ Er löste sein Krawattentuch.
„Wie dem auch sei, du musst sofort gehen.“ So sehr sie sich bemühte, kühl und gelassen zu klingen, so war ihr doch bewusst, dass sie es mit einem unberechenbaren Mann zu tun hatte. „Und mach keinen Lärm, sonst weckst du Maria und Susan.“
„Maria schnarcht, dass sich die Balken biegen, und Susan schlüpfte durch die Geheimtür nach draußen, gerade bevor ich gekommen bin.“
„Was?“
„Um Ben Aston zu treffen. Das musst du doch gewusst haben.“
„Nein, wusste ich nicht! Du meinst, er umwirbt sie?“
„Zweifellos. Ich habe ihn erst letzte Woche gefragt, was seine Absichten sind, und sie scheinen ehrenhafter Natur zu sein.“ Guy schlenderte näher und lehnte sich gegen den
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