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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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Holzplatte lag aufgeschlagen ein großes Buch mit einem separaten Blatt auf den ausgefransten Seiten, auf dem etwas gekritzelt stand. Neben dem Buch standen zwei kleine, mit Messing beschlagene Kästchen, die ebenfalls offen waren. In dem einen ruhte auf einem Geflecht aus Drahtgold das Kristallauge, dessen perfekte Oberfläche das gelbe Licht der Kerzen in zwei Lichtpunkten spiegelte. In dem anderen lag der Mutterkeim, dessen eiförmige, dunkelbraune Form in einem Bett aus blauer Seide lag. Das Erstere war eine Quelle subtiler Macht, ein Born uralten Wissens und nie erlahmender Wachsamkeit, wohingegen der Keim sowohl Schlüssel als auch Tür zum Reich der Erden-Mutter darstellte, ein verstohlenes Artefakt, durch das die Göttin mit Tauric und Alael gesprochen hatte. Doch im Moment war Bardow vor allem von dem losen Blatt Pergament fasziniert. Er nahm es aus dem Buch und las zum vierten Mal Onsivars Übersetzungen der Passagen, die von der Palimpsest-Seite in Kerens Buch stammten. Die prägnante und dennoch anmutige Anleitung, die Macht der Wurzel und die des Brunn-Quell miteinander zu verschmelzen, war atemberaubend. Sie erklärte vor allem die bis heute obskuren Andeutungen über Orosiadas »Herzensfeuer«-Klinge. Aber sie warf ebenfalls die Frage auf, wie die Magier früherer Epochen an so viel Brunn-Quell-Macht gekommen waren, dass sie damit hatten arbeiten können …
    Erneut kam ihm der Gedanke, den er bisher nicht hatte akzeptieren wollen.
Mit Nereks Verbindung zum Brunn-Quell und Alaels Affinität zur intensiven Form der Niederen Macht, die Gabe der Erden-Mutter, wie die Priesterinnen sie nennen, könnte es da vielleicht doch möglich sein, diese Verschmelzung erneut zu versuchen und eine solche doppelschneidige Waffe zu schmieden, die in der Lage wäre, die Schattenkönige zu vernichten?
Er schüttelte den Kopf und lächelte. Wie konnten sie hoffen, auch nur in Armeslänge in die Nähe eines dieser fürchterlichen Hexenmeister zu kommen, wenn ein Meer von Schwertern dazwischen stand? Dann fiel ihm ein, wo er sich befand, und er stellte sich ein verzweifeltes, letztes Gefecht vor, während der Feind sich durch Flure und Räume vorkämpfte, um diese unterirdische Kammer zu erreichen. Vielleicht gierten ja die Schattenkönige danach, das Ende mitzuerleben, sowohl um den Triumph auszukosten, als auch um sich gleichzeitig des Kristallauges und des Mutterkeims zu bemächtigen. Tatsächlich, einem entschlossenen Krieger, der diese doppelschneidige Waffe schwang und den Feind in dieser Kammer erwartete, mochte vielleicht gelingen, was den Verteidigern und den Wällen versagt blieb. Sobald Nerek von der Jagd auf ihren Bannwirkerspion zurückkehrte, würde er sie und Alael zu sich rufen und herausfinden, was getan werden konnte. Bardow beugte sich vor und schloss das Buch, dann stand er auf und reckte sich. Er zuckte zusammen, als seine Schultern schmerzhaft protestierten, und starrte in den blauen Kosmos des Kristallauges, während seine Gedanken unaufhörlich um ihre verzweifelte Lage kreisten. Schließlich seufzte er, schloss die beiden Kästchen und verriegelte sie. Er hatte seit mehreren Stunden nichts mehr von Medwin gehört, und jeder Versuch, mittels Gedankensprache Kontakt mit ihm aufzunehmen, war gescheitert. Die Sorge über die Lage in Scallow belastete ihn schwer, vor allem nach der Nachricht von Yared Hevrins Tod. Zudem war er nicht vollständig von einem Erfolg der gewagten List des Toten überzeugt. Nach dem, was Medwin ihm heute Morgen berichtet hatte, steckte Coireg Mazaret sowohl hinter dem Tod des Kaufmannes als auch hinter Gillys Verschwinden. Bardow erinnerte sich daran, was Nerek vor Monaten über ihre Begegnung mit diesem Mann in Trevada gesagt hatte, nachdem Suviel und sie dort in Gefangenschaft geraten waren. Ihm erschien es so gut wie sicher, dass Ikarnos unseliger Bruder als Wirt für den auferstandenen Geist eines mächtigen Hexers versklavt wurde.
    In diesem Moment überkam ihn die Sehnsucht nach der reinen Kraft der Macht der Wurzel. Sein Körper erinnerte sich noch daran, wie es sich angefühlt hatte, als die Macht ihn durchströmte, und seine Sinne wussten noch von der größeren Welt, die sich ihnen öffnete. Schlimmer war, dass sein Verstand einen Rest der mentalen Reflexe aus dieser Zeit behalten hatten, in der sein Geist alles andere als plump und müde gewesen war … Bardow merkte, wie er die Hände so fest zu Fäusten ballte, dass seine Fingernägel sich tief in seine

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