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02 - Schatten-Götter

02 - Schatten-Götter

Titel: 02 - Schatten-Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cobley
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bedeutete, dass sie das Ostufer erreichen musste, bevor das feindliche Schiff ihr den Weg abschnitt. Sie zerrte an den Zügeln, wendete ihr nervöses Pferd und ritt im Galopp über die Pfahlstraße zurück. Als sie die Kreuzung der zusammengebrochenen Straße erreichte, kündigte lautes Krachen die Rückkehr des Brunn-Quell-Schiffs an. Die Menge der Flüchtlinge verstopfte die Straßen und Stege in Richtung Westen, und Keren musste ihr Pferd als Keil einsetzen, um sich einen Weg hindurch zu bahnen. Schon bald ritt sie auf eine Plattform an einer der Brücken, welche den südlichen Brückenbezirk mit einer felsigen Insel verband, von der aus eine größere Brücke zum Festland führte. Die Brücke vor ihr überspannte einen der beiden Hauptkanäle, die sich durch diese Seite des Brückenbezirks schlängelten. Ein unaufhörlicher Strom von Menschen überquerte sie, die meisten zu Fuß und mit Bündeln ihrer wenigen Habseligkeiten oder mit kleinen Kisten auf den Schultern. Manche zogen auch kleine Handkarren hinter sich her, die mit den geretteten Resten ihres Besitzes beladen waren.
    Keren näherte sich der Brücke, als einige Jugendliche, die an der Seite standen, aufgeregt riefen und auf das Meer deuteten. Sie schaute nach Süden, wo die Invasionsflotte heransegelte, und sah überrascht eine Flottille aus niedrigen, schmalen Rudergaleeren, die rasch den Meeresarm hinabfuhr. Jede hatte eine Fahne am Heck, ein schlankes, hellblaues Banner, dessen Emblem sie aus dieser Entfernung nicht erkennen konnte. Während sie zusah, nahm das erste Fahrzeug Kurs auf eines der Langschiffe am äußeren Rand der Armada und rammte es mittschiffs. Die Zuschauer auf der Straße schrieen ihren Triumph heraus …
    Keren konnte nicht sagen, ob es an dem lauten Gebrüll gelegen hatte, oder ob etwas anderes ihr Pferd erschreckt hatte. Jedenfalls bäumte sich das Tier auf, sprang zur Seite, buckelte heftig und schleuderte Keren aus dem Sattel. Dann galoppierte es wie von Furien gehetzt zur Brücke. Keren landete einigermaßen glimpflich auf den Schultern und Köpfen einiger Brückenbewohner, die ihr wieder auf die Füße halfen. Sie schickte ihrem nervösen Gaul einen wütenden Fluch hinterher, dankte ihren Helfern und machte sich dann an die Verfolgung ihres Tieres, drängte sich an den Flüchtigen vorbei und versuchte, das Pferd im Blick zu behalten.
    Das Donnern der Zerstörung wurde plötzlich lauter, als das Schiff näher kam. Eine Seite der Brücke senkte sich ab und schleuderte jeden, der sich auf ihr befand, in die Tiefe. Die Leute schrieen vor Entsetzen, suchten verzweifelt einen Halt oder wurden einfach zerschmettert. Keren sprang hastig zur Seite und schlang ihre Arme um einen festen, hölzernen Pfeiler. Im selben Moment zersplitterten der Pfahlweg und die Plattform, auf der sie soeben noch gestanden hatte, in einer Kaskade von Splittern, als der lange, mastlose Umriss des Brunn-Quell-Schiffs sich seinen Weg ins offene Wasser bahnte. Es dauerte nur wenige Sekunden, aber Keren, die sich festhalten konnte, während andere Menschen schreiend an ihr vorbei in die Tiefe stürzten, starrte auf das Schiff hinab, als es unter ihr vorbeirauschte.
    Durch die schillernde, grüne Aura sah sie einen Mann in weiten Gewändern am Bug stehen. Er hatte seine entblößten Arme weit ausgebreitet, während er nach vorn starrte. Sie bemerkte den verfallenen Zustand des Schiffes und sah, wie sich die Fluten des Meeres in seinen Laderaum ergossen. Schließlich fiel ihr Blick auf die Gestalt, die an den zersplitterten Stumpf des Mastes gefesselt war, auf den Deckplanken kniete und den Kopf gesenkt hielt.
    Noch bevor sie die hellbraune Kleidung erkannte, wusste sie, dass es sich um Gilly handelte. Sie wollte ihm etwas zurufen, aber das fürchterliche Schiff war an ihr vorbei, bevor sie auch nur Luft holen konnte. Sie schwang ihre Beine auf den Balken, um sich rittlings drauf zu setzen, und versuchte, nicht zu lange in die Tiefe zu sehen. Ihre Seite der Brücke ruhte auf festen Pfeilern, die mit Kreuzbalken an anderen Streben befestigt waren, die zu der noch intakten Wand des Kanals gehörten. Wie schon zuvor versanken jedoch auch hier Gebäude und Konstruktionen in dem Mahlstrom der Zerstörung, die das Brunn-Quell-Schiff in seinem Kielwasser hinterließ. Schon bald würde die Kettenreaktion auch die Stützpfeiler der Brücke in den Abgrund reißen.
    Da flog etwas an ihr vorbei und landete mit einem dumpfen Knall im Holz des Pfeilers dicht neben ihrem

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