02 - Schatten-Götter
Handflächen gruben. Der Schmerz war beinahe erfrischend und half ihm, den tragischen Verlust zu überwinden. Er lächelte traurig. Es war merkwürdig. Zwar vermochte er, dieses heftige Sehnen aus seinen Träumen zu bannen, doch jetzt überfiel es ihn dafür am helllichten Tage.
Aktivität war die einzige Antwort. Beschäftigung. Obwohl er sich mehrere Stockwerke unterhalb des Erdbodens befand, wusste Bardow, dass es draußen noch hell war und die Sonne erst in einigen Stunden untergehen würde. Und Azurechs Ultimatum war lange abgelaufen, ohne dass der Feind eine offensichtliche Aktion unternommen hätte.
»Sie werden warten, bis die Sonne untergeht, bevor sie uns irgendwelche hinterhältigen Überraschungen bereiten«, hatte er dem besorgten Yasgur am Morgen erklärt. »Er hat einen Hang zur Dramatik, dieser Schattenkönig Byrnak. Nichts würde ihn mehr freuen, als unsere geliebte Stadt in der Nacht brennen zu sehen.« Yasgur und das Hohe Konklave planten, bei Einbruch der Dunkelheit auf jeder Straße Besh-Daroks Wachen aufzustellen. Und auch wenn Bardow erschöpft war, würde er weiter arbeiten müssen. Zudem war es von größter Dringlichkeit, Alael und Nerek so schnell wie möglich in den Hohen Turm zu rufen, damit die Verbindung der Mächte studiert werden konnte.
Er klopfte auf die Lehne des Stuhls, öffnete die Tür, blies die Kerzen aus und verschloss den Eingang mit einem magischen Amulett, bevor er ging.
Obwohl sie die Augen geschlossen hatte, wusste Keren, dass sie auf dem Rücken eines Pferdes liegen musste, eines gigantischen, eleganten Pferdes, dessen gleichmäßiger Galopp sie auf und ab bewegte. Wenigstens flammte bei diesem sanften Rhythmus der Schmerz in ihrem Kopf nicht wieder auf. Aber das Wetter musste schlecht sein, denn ihre Gliedmaßen und ihre Kleidung waren nass, ebenso wie der breite, harte Sattel, auf dem sie lag. Sie versuchte, sich aufzurichten, aber bei der Anstrengung schoss ihr der Schmerz wie mit glühenden Nadeln durch den Kopf, und sie zwang sich, die Augen aufzuschlagen.
Das zerstörte Deck des Rammschiffes dümpelte immer noch in einem dichten Nebel halb unter Wasser. Dem dämmrigen grauen Licht nach zu urteilen war es mittlerweile später Nachmittag, also war sie wohl nicht sehr lange bewusstlos gewesen. Sie war bei dem letzten Zusammenprall mit dem Brunn-Quell-Schiff am Kopf getroffen worden, hier draußen in der Hornbucht, als …
Keren runzelte die Stirn, während sie versuchte, sich an die Ereignisse zu erinnern, aber ihr Gedächtnis verweigerte sich hartnäckig ihrem Zugriff. Es war aber etwas Wichtiges, etwas, woran sie sich unbedingt entsinnen musste …
Sie stöhnte leise auf, als ihr der Versuch misslang, ihre Erinnerung abzurufen. Vielleicht gelang es ihr, wenn sie langsam den Lauf der Ereignisse zurückverfolgte? Sie erinnerte sich an Medwins kleine Scharade, mit der er sie von den Gefahren des Brückenbezirks hatte fernhalten wollen. Statt dessen hatte er sie gebeten, eine Nachricht an irgendwelche Rammschiffe zu überbringen, die an einem Steg irgendwo im Sarlek-See ankerten. Nachdem sie die Schiffe gefunden und die Instruktionen des Magiers überbracht hatte, den Kanal hinunter zu segeln und das Brunn-Quell-Schiff anzugreifen, hatte einer der Kapitäne sie gefragt, ob sie mitkommen wollte.
Die Frage brauchte man ihr nicht zweimal zu stellen. Sie ließ ihr Pferd bei einem Knappen in der Nähe des Stegs zurück und sprang an Bord des letzten Schiffes, während die Mannschaft bereits die Leinen löste. Die Fahrt über den Sarlek-See war überraschend kurz gewesen. Nachdem die Ruderer ihren Rhythmus gefunden hatten, war das Schiff nur so über das Wasser geflogen. Als sie sich den zerstörten Umrissen des Brückenbezirks näherten, war das schimmernde Brunn-Quell-Schiff auf der westlichen Seite aufgetaucht. In seinem Kielwasser schwammen Wrackteile. Keren erinnerte sich daran, dass sie auf dem Heck des Rammschiffes stand, wo der eisige Wind an ihrer Kleidung zerrte, und zusah, wie der Feind seinen Bug auf sie richtete…
Jetzt entglitt die Erinnerung ihrem forschenden Griff, und je stärker sie versuchte, die Fragmente wieder zusammenzusetzen, desto weniger schienen ihre Gedanken ihr zu gehorchen. Eine schreckliche Kälte breitete sich in Keren aus, aber sie konnte nicht einmal zittern, als der Frost sich lähmend über sie legte …
Sie sah nur ihre Füße, die in offenen Sandalen steckten, als sie über einen Bergpfad ging, der auf beiden Seiten von
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