02 - Schatten-Götter
für die Regale zu schaffen. Als Mazaret eintrat, stieg ihm der besondere Geruch nach Pergamenten und altem Leder in die Nase, in den sich der Duft von verbranntem Lampenöl mischte. Es war eine seltsam tröstende Mischung aus Aromen, die ihn an die Bibliothek im Haus seines Vaters erinnerte, damals, vor vielen Jahren, als er noch in Besh-Darok gelebt hatte.
Ein älterer, aber noch rüstig wirkender Mann trat vor.
»Ah, M'Lordregent. Ich bin Kustos Felwe. Der Erlauchte Erzmagier und seine Gefährten erwarten Euch am großen Tisch am anderen Ende, in der Nähe der Kartentische. Bitte vergebt diese Unordnung. Wir versuchen gerade, den Bestand des Lesesaals im zehnten Stock hier zu verstauen, weil der Raum gerade renoviert wird.« Mazaret dankte ihm, ging an den Kistenstapeln und den Kommoden und den zusammengebundenen Bündel mit Schriftrollen vorbei. Die Bibliothek im zehnten Stock?, dachte er. Dort war Tauric damals dem Steingeist von Argatil begegnet, dem Erzmagier Kaiser Korregans …
In der oberen Etage brannten keine Lampen, und alles versank in dunklen Schatten. Nur ein großer Tisch in der letzten Nische war gut beleuchtet, und die Köpfe der Sitzenden drehten sich zu Mazaret herum, als er sich näherte. Stuhlbeine kratzten, als die Versammelten aufstanden, um ihn zu begrüßen. Außer Bardow hatten sich Yasgur, dessen Berater Atroc und Yarram, sein Nachfolger im Amt der Lordkommandantur des Ordens vom Vater-Baum eingefunden. Sie alle wirkten merkwürdig düster und reserviert, als er zwischen ihnen Platz nahm.
»Meinen aufrichtigen Dank, dass Ihr uns Gesellschaft leistet, Mylord«, sagte Bardow. »Wir wissen sehr wohl, wie erschöpft Ihr nach einem solch anstrengenden Zug sein müsst, aber es harren gewisse Dinge einer Entscheidung, die besser heute als morgen besprochen werden sollten.«
»Ist die Krönung gut verlaufen?« Mazaret wirkte plötzlich besorgt. »Ich hätte daran teilgenommen, wenn das irgend möglich gewesen wäre.«
Atroc schnaubte, und Yasgur grinste. »Die Krönung des Jungen ist gut verlaufen, doch das Spektakel lieferte vor allem eine Arena für heimlichen Verrat«, meinte der Prinz der Mogaun. »Wir haben es nur unserem Glück zu verdanken, dass die Pläne unserer Feinde fehlschlugen, sonst hätte unsere Delegation nach Dalbar ein Desaster ereilt.«
»Lordregent Yasgur hat vollkommen Recht«, fuhr Bardow fort und gab Mazaret einen Bericht über die Ereignisse, die zum Selbstmord der falschen Nerek führten.
Mazaret hörte aufmerksam zu. Die beunruhigenden Nachrichten vertrieben seine Müdigkeit. »Diese Frau«, meinte er, nachdem der Erzmagier seine Schilderung beendet hatte. »Diese Gauklerin, habt Ihr mehr über sie erfahren? Mit wem könnte sie sich eingelassen haben?«
Bardow schüttelte den Kopf. »Ich habe ihre Gefährten selbst befragt. Unsere Lauscher haben sich im ganzen Viertel umgehört und sich bei allen möglichen Zeugen erkundigt. Nachdem sie vor etwa einer Woche von der Straße verschwunden ist, hat niemand sie gesehen oder kann sich daran erinnern, mit ihr gesprochen zu haben.« »Unsere Feinde«, erklärte Mazaret, »lassen sich wohl kaum von diesem Fehlschlag aufhalten, wenn sie bereit sind, eine solch durchtriebene List anzuwenden.«
»Ganz genau, Mylord.« Bardow klang überraschend ruhig. »Glücklicherweise ist unsere Delegation nach Dalbar heute Morgen ohne jeden Zwischenfall aufgebrochen. Allerdings haben wir die Eskorte verstärkt. Ach ja … Gilly hat mich gebeten, Euch seinen Gruß auszurichten.«
»Ich hatte gehofft, rechtzeitig vor ihrer Abreise hier zu sein«, erwiderte Mazaret. »Aber…« Der Seher Atroc beugte sich vor. »Man hat mir gesagt, dass Ihr diesen Untoten besiegt habt.« Mazaret grinste ihn wölfisch an. »Woher kennt Ihr diesen Namen, Atroc? Ich habe ihn in meiner Botschaft vom Fort auf dem Pass nicht genannt.«
»Wir Seher leben bei Nacht und auch bei Tage an der Schwelle der Träume«, erwiderte Atroc ungerührt. »Wir erfahren viele Dinge, manche klar, andere undeutlich.«
»Wir sind alle begierig darauf, von Eurer Begegnung zu hören, Mylord.« Yasgur warf seinem Ratgeber einen finsteren Blick zu, doch der kicherte nur leise.
Mazaret räusperte sich und berichtete, was von dem Moment an passiert war, an dem er Domas in der verlassenen Stadt Nimas getroffen hatte. Die Mienen der anderen umwölkten sich, als er die wandelnden Leichen erwähnte. Als er Azurechs Verletzungen und seine böse Prophezeiung schilderte, war seinen
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