02 - Schatten-Götter
Gebete und Hymnen standen, und den zerlaufenen Stumpen von Gebetskerzen. Da der Schrein kein Dach aufwies, war alles vom Regen durchnässt, einschließlich einer Statuette der Erden-Mutter, die aus fahlem Draelnussholz geschnitzt worden war. Sie war etwa einen halben Meter hoch und zeigte das mitleidige Antlitz der Göttin. Jemand hatte rote Tränen unter ihre Augen gemalt, und ein anderer hatte offenbar versucht, sie abzuwischen. Das grobporige Holz hatte jedoch die Farbe bereits zu sehr aufgesogen, und Gilly fand eine Figurine der Erden-Mutter, die blutige Tränen weinte, auf eine grimmige Weise passend für diesen Ort.
»Lichter für die Lady, M'lor'?«
Ein verkrüppelter, zerlumpter Bettler hielt ihm ein Tablett mit kurzen, dicken Kerzen hin. Der Mann lächelte starr durch seinen ungepflegten Bart, während sein unangenehm stechender Körpergeruch Gilly in die Nase drang.
»Nicht jetzt«, antwortete er. »Vielleicht später, wenn Ihr dann noch hier seid.«
Der Mann stieß ein keckerndes Lachen aus, das sich sofort in einen rasselnden, schleimigen Husten verwandelte, bei dem Gilly zusammenzuckte.
»Ihr solltet sie lieber jetzt kaufen, M'lor'«, erwiderte er. »Vielleicht kommt Ihr ja nicht auf diesem Weg zurück …«
Immer noch hustend schlurfte der Kerzenverkäufer in eine der dunklen Hütten zurück. Gilly schüttelte den Kopf, ging weiter und sah sich aufmerksam um.
Schon bald kam er an eine weite Öffnung zwischen zwei uralten Rümpfen. Die meisten Spalte, die er bisher gesehen hatte, waren sehr schmal gewesen, manchmal kaum breiter als ein enger Gang, der in ein umschlossenes Gewirr aus stickigen Passagen und altmodischen Räumen führte. Diese Öffnung wurde jedoch von einem großen Laufsteg gebildet, der zwei Schiffe miteinander verband, und sie war breit genug für die Kutsche, die verlassen ein Stück weiter auf dem Bohlenweg stand.
Gilly passierte einige Bewohner, als er weiterschlenderte. Waschweiber, ein paar alte Väter, die um eine Kupferflasche saßen, die dampfend über einem Feuerkorb hing, einen gähnenden Stallbesitzer und einige Jugendliche mit harten Gesichtern, die am Rand des Steges herumlungerten. Sie sahen ihm nach, und maßen mit ihren kalten Blicken seine vornehme Kleidung. Er erwiderte ihren Blick mit einem verächtlichen Grinsen, das sie sichtlich verunsicherte. Ungehindert ging er weiter.
An der verlassenen Kutsche fütterten zwei Kinder das Pferd mit Hafer und Wurzeln. Es war noch angeschirrt, aber als Gilly sie ansprechen wollte, rannten sie hastig an ihm vorbei. Links von ihm befand sich der fast senkrechte Rumpf eines großen Schiffes, eines ehemaligen Dreimasters vielleicht, dessen Planken grün und schwarz von Schimmel waren. Aus Löchern und Spalten im Rumpf wuchs Unkraut. Rechts von ihm lag das Wrack eines kleineren, halb versunkenen Schiffes, das sich deutlich von dem Knüppelweg wegneigte. Eine Laufplanke führte zu einer dunklen Öffnung, die einfach in den Rumpf des Schiffes gesägt worden war. Der Bohlenweg endete einige Meter weiter, wo die Planken abgebrochen waren und im Wasser versanken. Also blieb nur die Planke. Gilly zog sein Schwert und betrat sie.
Hinter dem Loch führte ein schmaler Niedergang in tintige Schwärze hinab, während vor ihm eine Leiter zu einer offenen Luke führte, in der grauer Himmel zu sehen war. Er schob sein Schwert wieder in die Scheide, stellte einen Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter und hielt inne, während er mit angehaltenem Atem in die Finsternis lauschte.
Er hörte ein schwaches Kratzen wie von Rattenkrallen. Dann einen dumpfen Schlag, ein Keuchen und ein lautes Klatschen, das von weiter unten zu kommen schien. Kalte Furcht durchrieselte Gilly, und er kletterte hastig zum Tageslicht empor.
Das Holz unter seinen Fingern fühlte sich feucht und schmierig an, als er sich auf das geneigte Deck zog, sein Schwert erneut zückte und sich umsah. Es schien niemand da zu sein, nur das leere Deck mit dem zersplitterten Stumpf eines Mastes und einem geplünderten Steuerhaus mittschiffs. Er sah Spuren von Aufbauten, die einmal hier auf Deck gestanden hatten, aber sie waren anscheinend erst vor kurzem niedergerissen und weggeschafft worden. Zersplittertes Holz, verrottendes Tauwerk und anderer Müll hatten sich am unteren Ende des schiefen Decks angesammelt, und Bahnen von verwickelten Netzen hingen über eine Seite.
»Seid gegrüßt«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihm. »Ihr habt Euch wohl verirrt.«
Gilly spannte sich an,
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