02 - Schatten-Götter
und er versuchte, die Hinterköpfe voneinander zu unterscheiden. Plötzlich erblickte er den Mann, der sich zwischen den grimmig wirkenden Kapitänen hindurchdrängte, sich zum Hevrin hinabbeugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Der große Admiral erwiderte etwas, was der Mann mit einem Lachen und einem Nicken quittierte. Dann richtete er sich auf und bot Gilly zum ersten Mal die Gelegenheit, sein Gesicht zu sehen.
»Im Namen der Mutter!«, stieß Gilly hervor. »Das kann doch nicht sein …!«
Gilly erinnerte sich sehr gut an den Mann. Er hatte ihn in Krusivel kennen gelernt, noch bevor all die Probleme begannen. Es war Ikarno Mazarets Bruder Coireg.
»Gilly, Reepmeister Doreth wartet auf uns!«, rief Medwin ihm gereizt von der anderen Seite des Korridors her zu.
»Einen Moment noch, Meister Medwin, mit Verlaub«, entgegnete Gilly.
Yeddro murmelte Golwyth etwas zu, der lächelnd mit der Schulter zuckte, während Keren neben Gilly trat. Sie sah etwas erholter aus.
»Was machst du denn da?«, fragte sie leise.
»Seht Ihr diesen Mann mit den nackten Armen dahinten?« Er deutete auf ihn. »Da, er kommt aus der letzten Nische … Seht genau hin. Erkennt Ihr ihn?«
Sie schaute einen Moment hin, dann weiteten sich ihre Augen vor Staunen. »Coireg Mazaret… Aber hat Nerek nicht gesagt, er wäre … besessen?«
»Allerdings. Der Geist, der in ihn gefahren ist, weiß vielleicht, was Ikarno zugestoßen ist«, erwiderte er mit belegter Stimme und fällte rasch eine Entscheidung. »Ich werde ihm folgen. Erklärt Ihr das Medwin …« Im nächsten Moment lief er los und ignorierte die verwirrten Rufe des Magiers. Sein Ärger steigerte seine Energie, und als er die Treppe erreichte, nahm er zwei Stufen auf einmal. Er bog um die Kurve des nächsten Absatzes und konnte gerade noch einen Lakaien umgehen, der zwei kleine Fässchen auf seinen Schultern balancierte.
Beide reagierten gedankenschnell und wichen sich mit einem kurzen, beinah tänzelnden Schritt aus, dann war Gilly an dem Mann vorbei und hetzte die nächste Treppe hinab. Er stolperte beinahe und musste die letzten Stufen im Sprung nehmen. Mit einem lauten Knall landete er auf den Füßen, quittierte sein Glück mit einem Lachen, rannte die letzte Treppe hinunter und stürmte durch die bevölkerte Halle, was ihm warnende Rufe von den Türmeistern und aufmunternde Pfiffe von den Arbeitern auf ihrem Gerüst eintrug.
Draußen im hellen Tageslicht verlangsamte er seine Schritte und ging zügig weiter, während er die Umgebung des Hohen Hauses musterte, die Straße, ihre dreistöckigen Residenzen und die Einmündungen der Seitenstraßen. Es waren nur wenig Fußgänger unterwegs, und die Besucher des Hohen Hauses selbst. Von Coireg Mazaret jedoch war nichts zu sehen. Dann bemerkte er eine einspännige Pferdedroschke, die mit einem Passagier nach Süden über eine der Straßen trabte. Sein Instinkt riet ihm, ihr zu folgen.
Mehrere ein- und zweispännige Mietdroschken standen in einer Reihe wartend vor dem Tor des Hohen Hauses. Gilly sprang in die erste, klopfte dem Kutscher kurz auf die Schulter und deutete auf die sich entfernende Kutsche.
»Schnell, fahrt dieser Droschke nach!«
Der Kutscher, ein schwammiger Mann in einem steifen Mantel und einem schäbigen Hut auf dem Kopf, warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
»Ist das etwa ein Bodush-Spielchen? Damit will ich nichts zu schaffen haben, verstanden?« »Ist es nicht, das schwöre ich«, erwiderte Gilly. »Oder seht Ihr irgendwelche Symbole an mir?« »Pah. Wer weiß denn heute schon, was ein Zeichen sein kann?. Nicht so wie damals zu meiner Zeit…« Aber er nahm die Zügel in die Hand, ließ die Peitsche über dem Kopf seines Pferdes knallen, und die Kutsche setzte sich in Bewegung. Sie schlug einen großen Bogen über die Straße. Während die Räder über die Steine ratterten, schaute Gilly zum Hohen Haus der Kiele zurück und fragte sich, was Medwin wohl gerade in diesem Moment dachte oder sagte.
Zweifellos etwas zutiefst Vorwurfsvolles, dachte er. Was ihm vermutlich sogar das Mitgefühl eines Henkers aus Jefren einbringen würde.
Gilly und sein Kutscher verfolgten das andere Gespann durch die engen Straßen von Scallow. Als er den Kutscher bat, genügend Abstand zu seinem Kollegen zu halten, knurrte dieser, drückte seinen Hut fester auf den Kopf und tat wie geheißen.
Schon bald wurde ersichtlich, dass Coireg Kurs auf den Brückenbezirk nahm. Als Gillys Kutsche von dem Ufer auf eine hölzerne
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