02 - Schatten-Götter
zum Durchgang. Keren blieb stehen und warf einen Blick durch den Korridor. Sie sah jedoch niemanden und eilte hinter den anderen her.
Hinter dem mit einem Vorhang verhängten Eingang führte ein geschwungener, schmaler Gang zwischen der Außenwand des Kielhofes und der hohen, mit Tuch bespannten Rückseite der ansteigenden Sitzreihen entlang. Hevrin deutete auf eine Treppe mit einem Geländer, die zu den obersten Sitzen hinaufführte.
»Dort können Gäste und Besucher sitzen und zusehen«, erklärte er Keren und Medwin leise. »Sucht Euch Eure Plätze, ich muss den Kielhof durch eine andere Tür betreten. Bis später.«
Hevrin und Reepmeister Doreth folgten dem Gang, bis sie hinter einer Biegung verschwanden. Keren und Medwin stiegen die mit Teppich beschlagenen Stufen hinauf, bis sie Platz auf einer langen, harten Bank fanden, von der sie den ganzen Kielhof überblicken konnten. Der Saal war oval, und die Sitzreihen waren in zwei lange, gebogene Blöcke unterteilt, die sich gegenüberlagen, und an deren Ende ein kleinerer, dritter Block stand. Am anderen Ende befand sich ein Podest mit einem kunstvoll gedrechselten Sockel, von wo aus sich die Sprecher an die Versammlung wenden konnten.
All das verstärkte den Eindruck eines großen, offenen Schiffes. Am anderen Ende über den großen Doppeltüren des Hofes stand eine große Steinstatue eines bärtigen Mannes mit nackter Brust, der einen knorrigen Stab in der einen und ein Bündel Seegetier in der anderen hielt. Keren überlegte, ob das wohl eine Darstellung des Vater-Baumes sein sollte, vielleicht unter seinem nautischen Aspekt. Sie würde Yared Hevrin danach fragen, sobald sie Gewissheit über Gillys Schicksal hatte.
Die Atmosphäre in dem überfüllten Kielhof war sehr gespannt. In den Sitzreihen wurde diskutiert und gestritten, und der Mann, der auf dem Podest stand und redete, wurde ständig unterbrochen. Die Delegierten schienen in verschiedene Fraktionen gespalten zu sein, aber von Kerens Standpunkt aus, ganz oben in der Mitte einer der Seitenbänke, war die einzige, klar erkennbare Gruppe die der Insulaner mit ihrem Admiral, dem Hevrin. Er saß scheinbar reglos auf einer der unteren Bänke nahe an dem Podest, die Füße gespreizt und seine großen Hände auf die Knie gestützt.
Ein Jubelschrei brandete auf, als Yared Hevrin durch die zeremonielle Tür in der Ecke hinter dem Podest eintrat. Er erwiderte das Willkommen und schüttelte einige Hände, bevor er seinen Platz beinah direkt gegenüber von seinem Kusin, dem Hohen Admiral, einnahm.
Der Sprecher versuchte, fortzufahren, aber lautstarke Pöbeleien zwangen ihn, zum Schluss zu kommen und sich auf den Boden des Kielhofes zurückzuziehen. Wieder jubelten einige, als Yared Hevrin aufstand und auf das Podest trat. Der Lärm verstummte, während er ernst die Reihen von Gesichtern auf beiden Seiten musterte. Er begann zu sprechen, und ging mit seinen Worten zurück bis zur Gründung von Scallow vor mehr als tausend Jahren, bevor der Tyrannen-König Dahorg von einer Koalition aus Schiffsclans gestürzt worden war. Yared sprach von der sechzehn Jahre anhaltenden Unterdrückung durch die Mogaun und den Hexern der Akolythen des Zwielichts, und wie eine furchtlose Allianz aus Rittern und Waldkämpfern, die von der Erden-Mutter gesegnet waren, die feindlichen Horden in die Flucht geschlagen hatte.
»Dennoch sind die fürchterlichen Schattenkönige noch nicht besiegt«, sagte er. »Während ich hier zu Euch spreche, versammeln sie ihre Streitkräfte vor Besh-Darok, wirken ihre Hexereien finsterer und tödlicher als zuvor, und ihre Krieger sind so zahlreich wie die Sandkörner am Strand. Wir sollten den Verteidigern zur Seite eilen, zum Kampfbereit, statt dessen jedoch liegen unsere Schiffe vor Anker und bangen, dass die Schiffclans der Inseln sich gegen uns wenden. Wir sollten diesen überflüssigen und sinnlosen Konflikt beenden …« Keren konnte nicht erkennen, dass jemand ein Zeichen gegeben hätte, doch plötzlich standen die Kapitäne des Hevrin einer nach dem anderen von ihren Sitzen auf und marschierten gelassen aus dem Saal. Dieser ungeheuerliche Affront wurde von wütenden Stimmen kommentiert, und Yared Hevrin stockte in seiner Rede. »Medwin«, fragte Keren, »warum tun sie das?«
»Ich weiß es nicht genau«, erwiderte er finster. »Inszenierte Unterbrechungen sind meistens im Voraus geplant, aber warum sollte der Hevrin hierher kommen, nur um sofort wieder zu verschwinden?«
Schließlich
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