02 Titan
kann nur an einem Ort enden.«
»Und der wäre?«, fragte Clodius höhnisch.
»Da vorn«, antwortete Cicero und deutete zum Carcer. »Am Ende eines Stricks.«
»Ach ja?«, sagte Clodius und deutete in die entgegengesetzte Richtung, zur Rostra mit ihren lebensgroßen Statuen. »Eines Tages werde ich da oben stehen, zusammen mit den Helden des römischen Volkes.«
»Was du nicht sagst! Und die Statue, wie sieht die aus,
trägst du da Frauenkleider und spielst die Leier?« Wir lachten. »Publius Clodius Pulcher: der erste Held des Standes der Transvestiten? Nun ja, ich habe da meine Zweifel. Jetzt geh aus dem Weg!«
»Aber natürlich«, sagte Clodius lächelnd. Als er beiseitetrat, um uns durchzulassen, schaute ich ihn mir genau an. Er kam mir sehr verändert vor. Nicht nur dass er körperlich größer und stärker wirkte, es lag auch eine Härte in seinen Augen, die früher nicht da gewesen war. Er mästete sich an seinem schlechten Ruf, er sog die Energie des Pöbels in sich auf. »Caesars Frau war eine der besten, die ich je hatte«, sagte er leise, als Cicero an ihm vorbeiging. »Fast so gut wie Clodia.« Dann packte er Ciceros Arm und sagte laut: »Ich wollte dein Freund sein. Warum wolltest du nicht meiner sein?«
»Claudier sind unzuverlässige Freunde«, erwiderte Cicero und machte sich los.
»Richtig, aber es gibt keine zuverlässigeren Feinde.«
Und er hielt Wort. Von diesem Tag an zeigte er bei jeder seiner Reden, die er auf dem Forum hielt, hinauf zum Palatin, zu Ciceros neuem Haus als dem perfekten Symbol der Diktatur, das hoch über den Köpfen der Menge thronte. »Da, schaut euch an, welchen Profit der Tyrann, der römische Bürger ohne ordentliches Urteil hat abschlachten lassen, aus seinen Machenschaften gezogen hat – kein Wunder, dass er nach noch mehr Blut giert!« Cicero antwortete in gleicher Manier, und die gegenseitigen Beschuldigungen wurden immer schärfer. Manchmal standen Cicero und ich auf der Terrasse und schauten dem Berufsanfänger in Sachen Demagogie bei der Arbeit zu. Wir waren zu weit weg, als dass wir hätten hören können, was er sagte, was wir aber hören konnte, war der Applaus der Menge, und uns wurde klar, was wir da sahen: die zuckenden Lebenszeichen eines wieder zu Kräften kommenden Monstrums, das Cicero schon erlegt zu haben glaubte.
KAPITEL XIV
E twa Mitte März stattete Hortensius Cicero einen Besuch ab. Hinter ihm schlurfte Catulus ins Haus. Mehr denn je sah der alte Patrizier wie eine Schildkröte ohne Panzer aus. Er hatte sich erst kürzlich die letzten Zähne ziehen lassen, und das Trauma der Extraktion, die vorausgegangenen langen Monate der Schmerzen, die daraus folgende Verzerrung seines Mundes, all das bewirkte, dass man ihm jedes einzelne seiner sechzig Lebensjahre ansah. Er sabberte und schien nichts dagegen tun zu können, das große Taschentuch, das er in der Hand hielt, war durchnässt und hatte eine gelbliche Farbe. Er erinnerte mich an jemanden, aber ich wusste nicht, an wen, bis es mir schließlich doch einfiel – an Rabirius. Cicero stand schnell auf und wollte ihn zu einem Stuhl führen, aber Catulus scheuchte ihn weg und brummte, dass es ihm hervorragend gehe.
»Dieser erbärmlichen Affäre um Clodius muss unbedingt ein Ende gemacht werden«, sagte Hortensius.
»Ich bin ganz deiner Meinung«, stimmte Cicero zu. Auch ihm wurde die zersetzende Redeschlacht mit Clodius, in die er sich verbissen hatte, allmählich unangenehm. »Die Regierung ist handlungsunfähig. Unsere Feinde lachen über uns.«
»Die Verhandlung muss so schnell wie möglich stattfinden. Ich schlage vor, wir geben unseren Standpunkt auf, dass der Stadtprätor die Geschworenen auswählt.«
»Wie sollen sie dann bestimmt werden?«
»Wie üblich, per Los.«
»Dann könnten wir es bei den Geschworenen allerdings mit ein paar ziemlich zweifelhaften Gestalten zu tun bekommen. Wir wollen ja nicht, dass der Schurke freigesprochen wird. Das wäre wirklich eine Katastrophe.«
»Ein Freispruch ist gänzlich ausgeschlossen. Wenn wir dem Gericht die erdrückenden Beweise präsentiert haben, führt kein Weg an einer Verurteilung vorbei. Wir brauchen nur die einfache Mehrheit. So viel Vertrauen in den gesunden Menschenverstand im römischen Volk können wir schon haben.«
»Wir müssen ihn mit Fakten zermalmen«, sagte Catulus, der sich das fleckige Taschentuch vor den Mund hielt. »Je eher, desto besser.«
»Bist du dir sicher, dass Fufius sein Veto zurückzieht, wenn wir die
Weitere Kostenlose Bücher