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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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und der Körper der Länge nach bis zur Leiste aufgeschnitten – man hatte ihn ausgeweidet. Es war kein Blut zu sehen, nur diese dunkle, längliche Höhle voller Flussschlamm, die wie ein ausgenommener Fisch aussah. Wie Cicero es schaffte, den Anblick zu ertragen und dabei seine Fassung zu wahren, weiß ich nicht, aber er schluckte hörbar und wandte seinen Blick nicht ab. Schließlich sagte er heiser: »Was für eine Gräueltat.«
    »Das ist noch nicht alles«, sagte Octavius. Er ging in die Hocke, umfasste den Schädel des Jungen mit beiden Händen und drehte ihn nach links. Mit der Bewegung des Kopfes
öffnete und schloss sich die klaffende Halswunde auf obszöne Weise wie ein zweiter Mund, der uns eine Warnung zuzuflüstern versuchte. Octavius schien für all das vollkommen unempfänglich zu sein, allerdings war er Soldat und ohne Zweifel an einen solchen Anblick gewöhnt. Er strich dem Jungen die Haare zurück und legte genau über dem rechten Ohr eine tiefe Wunde frei, in die er seinen Daumen drückte. »Siehst du das? Scheint so, als hätte man ihn von hinten niedergeschlagen. Vermutlich mit einem Hammer.«
    »Farbe im Gesicht. Schleifen im Haar. Von hinten niedergeschlagen, mit einem Hammer«, wiederholte Cicero, wobei die Worte immer langsamer aus seinem Mund kamen, während ihm klarwurde, wohin seine Gedanken ihn führten. »Dann die Kehle durchgeschnitten, und zum Schluss den Körper ausgeweidet.«
    »Genau«, sagte Octavius. »Die Mörder müssen es darauf abgesehen haben, seine Eingeweide zu untersuchen. Er war ein Opfer – ein Menschenopfer.«
    Bei diesen Worten stellten sich mir die Nackenhaare auf, und ich wusste, dass ich mich an diesem kalten, trüben Ort in Gegenwart des Bösen befand – des Bösen als einer spürbaren Kraft, so machtvoll wie der Blitz.
    »Sind dir irgendwelche Sekten in der Stadt bekannt, die derart abscheuliche Praktiken pflegen?«, fragte Cicero.
    »Keine. Natürlich kommen da immer die Gallier infrage – es heißt, dass sie solche Sachen machen. Aber im Augenblick sind nur wenige in der Stadt, und die führen sich ganz anständig auf.«
    »Wer ist das Opfer? Hat schon jemand Anspruch auf ihn erhoben?«
    »Das ist der zweite Grund, warum ich dich holen ließ, damit du selbst einen Blick auf das Opfer werfen kannst.« Octavius drehte die Leiche auf den Bauch. »Hier, über dem
Gesäß, siehst du das kleine Zeichen des Besitzers? Wer den Körper in den Fluss geworfen hat, hat es vielleicht übersehen. ›C.Ant.M.f.C.n.‹ Gaius Antonius, Sohn des Marcus, Enkel des Gaius. Na, wenn das keine berühmte Familie ist! Er war ein Sklave deines Mitkonsuls Antonius Hybrida.« Er erhob sich, wischte sich die Hände an dem Segeltuch ab und warf es dann achtlos wieder über die Leiche. »Was willst du jetzt unternehmen?«
    Cicero schaute wie hypnotisiert auf das armselige Bündel. »Wer weiß von der Sache?«
    »Niemand.«
    »Hybrida?«
    »Nein.«
    »Was ist mit den Leuten da draußen?«
    »Es geht das Gerücht, dass es sich um irgendeine Art Ritualmord handelt. Niemand weiß so gut wie du, wie das bei Menschenmassen ist. Sie sagen, dies sei am Vorabend deines Konsulats ein schlechtes Omen.«
    »Da könnten sie Recht haben.«
    »Der Winter war bis jetzt hart. Die Leute werden sich nicht so schnell beruhigen. Ich dachte mir, wir könnten das Priesterkollegium der Pontifices benachrichtigen und bitten, irgendeine Art von Reinigungszeremonie …«
    »Nein, nein«, sagte Cicero schnell und wandte den Blick von der Leiche ab. »Keine Priester. Priester machen alles nur noch schlimmer.«
    »Was sollen wir also tun?«
    »Kein Wort zu niemandem! Die Leiche so schnell wie möglich verbrennen. Niemand darf sie sehen. Verbiete jedem, der sie gesehen hat, unter Androhung von Kerker oder Schlimmerem, dass er auch nur ein Wort verlauten lässt.«
    »Und die Leute da draußen?«
    »Du kümmerst dich um die Leiche, ich kümmere mich um die Leute.«
    Octavius zuckte mit den Achseln. »Wie du willst.« Er klang gleichgültig. Er hatte nur noch einen Tag im Amt – ich stellte mir vor, dass er froh war, das Problem los zu sein.
    Cicero ging zur Tür und atmete ein paarmal tief durch, so dass seine Wangen wieder etwas Farbe bekamen. Dann sah ich, was ich schon so oft bei ihm gesehen hatte, nämlich dass er die Schultern durchdrückte und ein selbstbewusstes Gesicht aufsetzte. Er ging nach draußen und kletterte auf einen Stapel Spanten, um zu dem Menschenauflauf zu sprechen.
    »Menschen von Rom, ich

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