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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Prätor überreicht. Er stand auf, worauf sich auch alle anderen Mitglieder des Gerichts erhoben. Fulvia umklammerte Clodius’ Arm. Ich schloss die Augen und schickte ein Gebet zum Himmel. Wir brauchten nur neunundzwanzig Stimmen, um Clodius für den Rest seines Lebens ins Exil zu schicken.
    »Für schuldig fünfundzwanzig Stimmen, für Freispruch einunddreißig Stimmen. Somit lautet das Urteil des Gerichts, dass Publius Clodius Pulcher der ihm zur Last gelegten Vergehen nicht schuldig ist. Damit ist der Fall …«
    Die letzten Worte des Prätors gingen im Jubelsturm unter. Ich hatte das Gefühl, als zöge man mir den Boden unter den Füßen weg. Ich schwankte hin und her, und als ich schließlich die Augen wieder öffnete und in das grelle Licht blinzelte, sah ich, wie Clodius auf dem Podium zwischen den Geschworenen herumstolzierte und Hände schüttelte. Die Legionäre hatten eine Kette gebildet, um zu verhindern, dass der jubelnde und tanzende Pöbel das Podium stürmte. Ich war eingekeilt von Clodius-Anhängern, die mir alle die Hand schütteln wollten, was ich mit einem gezwungenen Lächeln auch tat, sonst hätte es wohl Prügel oder Schlimmeres gesetzt. Inmitten der lärmenden Jubelfeier bot die Senatorenschaft ein Bild so weiß und still wie ein Feld mit frisch gefallenem Schnee. Bei einigen konnte ich die innere Verfassung am Gesicht ablesen – Hortensius war wie vom Donner gerührt, Lucullus verstand gar nichts, Catulus’ verzerrter, eingefallener Mund signalisierte Entsetzen. Cicero trug seine professionelle Maske zur Schau und schaute staatsmännisch in die Ferne.
    Dann trat Clodius nach vorn zum Rand des Podiums. Er
ignorierte den lautstarken Einspruch des Prätors, dass dies ein Gerichtshof und keine Volksversammlung sei, und hob die Hände. Sofort verstummte der Lärm.
    »Mitbürger«, sagte er. »Dieses Urteil ist kein Sieg für mich. Dieses Urteil ist ein Sieg für euch, für das Volk.« Wieder brandete Beifall auf. Er brach sich an den Mauern des Tempels, zu dem Clodius sich nun umwandte – ein Narziss vor seinem Spiegel. Als er sich angemessen lange mit Beifall überhäuft fühlte, fuhr er fort. »Ich wurde geboren als Patrizier, aber die Angehörigen meines Standes haben sich gegen mich gestellt. Ihr seid es, die mich unterstützt habt, die mir Kraft gegeben habt. Ihr seid es, denen ich mein Leben verdanke. Ich bin einer von euch. Ich möchte unter euch sein. Von jetzt an werde ich mein Leben euch widmen. Sagt es deshalb allen, dass ich heute, am Tag dieses großen Sieges, beschlossen habe, das Erbe meines Patrizierblutes zu verleugnen und um meine Adoption als Plebejer zu ersuchen.« Ich schaute zu Cicero. Der staatsmännische Blick war verschwunden. Jetzt blickte er Clodius unverhohlen staunend an. »Und sollte mir dies gewährt werden, so richtet sich mein Ehrgeiz nicht auf eine Karriere im Senat, in dieser Ansammlung aufgeblasener, korrupter Kreaturen, sondern auf eine als Vertreter des Volkes, als einer von euch, als Volkstribun!« Wieder Beifall, diesmal noch begeisterter, den er wieder mit einer einzigen Handbewegung zum Verstummen brachte. »Und wenn ihr, das Volk, mich zum Volkstribun wählt, dann gebe ich euch, meine Freunde, hiermit folgendes feierliche Versprechen: Diejenigen, die ohne Gerichtsurteil das Leben römischer Bürger ausgelöscht haben, werden sehr bald erfahren, wie sich das anfühlt, wenn das Volk Gerechtigkeit übt!«

    Später zog sich Cicero zusammen mit Hortensius, Catulus und Lucullus in die Bibliothek zurück, um das Urteil zu besprechen. Quintus war in der Stadt unterwegs und versuchte herauszufinden, wie es zu diesem Ergebnis hatte kommen können. Als ich mit dem Wein, den Cicero mich holen geschickt hatte, wieder in die Bibliothek zurückkam, saßen die Senatoren immer noch wie betäubt da. »Vier Stimmen«, murmelte Cicero. »Nur vier Stimmen, und dieser gewissenlose Schurke wäre jetzt schon auf dem Weg zur Grenze, für immer aus Italien verbannt. Vier Stimmen! « Immer wieder sagte er diese zwei Worte.
    »Für mich ist jetzt Schluss, meine Herren«, sagte Lucullus. »Ich werde mich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen.« Aus einiger Entfernung schien er der gewohnt kühle Charakter zu sein, aber wenn man ihn aus der Nähe betrachtete, wie ich, als ich ihm einen Becher Wein reichte, konnte man sehen, dass seine Augenlider heftig zuckten. Er war gedemütigt worden. Das konnte er nicht ertragen. Er trank den Wein auf einen Zug aus und hielt mir den

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