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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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fühlte am Hals den Puls und sagte, er sei tot.

    Und somit war Quintus Lutatius Catulus im Alter von einundsechzig Jahren aus dem Leben geschieden: Konsul, Pontifex und unerbittlicher Streiter für die Privilegien des Senats. Er entstammte einer früheren, strengeren Ära, und wie auch der Tod von Metellus Pius erscheint mir im Nachhinein auch sein Tod wie ein Meilenstein im Niedergang der Republik. Hortensius, der ein Schwager des Verstorbenen war, ließ sich von Cicero eine Kerze geben, hielt diese vor das Gesicht des alten Mannes und versuchte ihn mit sanften Worten wieder ins Leben zurückzurufen. Nie zuvor war mir der Sinn dieser alten Tradition so klar gewesen wie in diesem Augenblick, denn mir kam es tatsächlich so vor, als hätte Catulus’ Geist nur kurz den Raum verlassen und könne leicht durch die richtige Ansprache wieder zurückgeholt werden. Wir warteten, aber er kam natürlich nicht wieder zu sich. Nach einer Weile küsste Hortensius ihn auf die Stirn und schloss ihm die Augen. Er fing an zu weinen, und sogar Cicero schienen Tränen in die Augen zu steigen. Obwohl er und Catulus zunächst Widersacher gewesen waren, hatten sie am Ende doch das gleiche Ziel verfolgt, und Cicero hatte den alten Mann wegen dessen Integrität geachtet. Nur Lucullus war anscheinend ungerührt, doch zu jener Zeit hatte er meiner Meinung nach ohnehin schon das Stadium seines Lebens erreicht, in dem er Fischen menschlichen Wesen den Vorzug gab.
    Natürlich war damit die Diskussion über das Gerichtsurteil beendet. Catulus’ Sklaven wurden gerufen, die die
Leiche ihres Herrn den kurzen Weg zu seinem Haus trugen. Hortensius verabschiedete sich, um seiner Familie die Nachricht von Catulus’ Tod zu überbringen, und auch Lucullus zog sich zurück – gewiss in seinen unermesslich großen Saal des Apollo, wo er sich wahrscheinlich Lerchenflügel und Nachtigallzungen servieren ließ. Und Quintus erklärte, er werde am nächsten Tag bei Morgengrauen zu seiner langen Reise nach Asia aufbrechen. Cicero wusste natürlich, dass Quintus dazu verpflichtet war, sofort nach Verkündung des Urteils die Stadt zu verlassen, und dennoch war dies die härteste Prüfung, die Cicero an diesem Tag zu bestehen hatte. Er rief Terentia und den kleinen Marcus, damit sie sich von Quintus verabschieden konnten, und verschwand dann schnell in seine Bibliothek, so dass es mir überlassen blieb, seinen Bruder zur Tür zu bringen.
    »Auf Wiedersehen, Tiro«, sagte Quintus und drückte mit beiden Händen meine Hand. Anders als Ciceros weiche Advokatenhände waren seine hart und schwielig. »Ich werde deinen Rat vermissen. Schreib mir, so oft es geht, und halt mich auf dem Laufenden darüber, wie sich mein Bruder schlägt.«
    »Sehr gern.«
    Er war schon in der Tür, als er plötzlich stehen blieb und sich noch einmal umdrehte. »Nach seiner Amtszeit als Konsul hätte er dir die Freiheit geben sollen. Das hatte er sich fest vorgenommen. Hast du das gewusst?«
    Ich war wie betäubt. »Irgendwann hat er aufgehört, davon zu sprechen«, stammelte ich. »Ich hatte angenommen, dass er seine Meinung geändert hat.«
    »Er sagt, dass er Angst hat, weil du so viel weißt.«
    »Nie würde ich auch nur ein Wort von dem preisgeben, was er mir im Vertrauen gesagt hat!«
    »Ich weiß, und tief in seinem Innern weiß er es auch. Mach dir keine Sorgen deswegen. Es ist nur eine Ausrede. In
Wahrheit hat er Angst davor, dass du ihn genauso verlässt, wie Atticus ihn verlassen hat und ich ihn jetzt verlasse. Du bist ihm eine größere Hilfe, als du ahnst.«
    Ich war so überwältigt, dass ich kein Wort herausbrachte.
    »Wenn ich aus Asia zurückkomme, wirst du deine Freiheit bekommen«, sagte er. »Das verspreche ich dir. Du gehörst der Familie, nicht nur ihm allein. Bis dahin, Tiro, pass gut auf ihn auf. Irgendwas braut sich in Rom zusammen. Ich weiß nicht, was, aber es stinkt gewaltig.«
    Er hob zum Abschied die Hand, dann ging er zusammen mit seinen Dienern die Straße hinunter. Ich blieb auf der Türschwelle stehen und schaute ihm so lange hinterher, bis die vertraute kräftige Gestalt mit den breiten Schultern und dem gleichmäßigen Gang aus meinem Blickfeld verschwunden war.

KAPITEL XV
    E igentlich hätte Clodius sofort nach Sizilien abreisen sollen, um dort sein Amt als Quästor anzutreten. Stattdessen blieb er in Rom und kostete seinen Sieg aus. Er besaß sogar die Dreistigkeit, den ihm jetzt zustehenden Sitz im Senat einzunehmen. Das geschah zwei Tage nach dem

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