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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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über die Menge. Er stand auf und ging zu Cicero. »Obwohl alle Welt weiß, wer du bist, würdest du uns bitte deinen Namen nennen?«
    »Marcus Tullius Cicero.«
    »Schwörst du bei allen Göttern, die Wahrheit zu sagen?«
    »Ich schwöre.«
    »Kennst du den Angeklagten?«
    »Ja.«
    »Wo war der Angeklagte zwischen der sechsten und siebten Stunde des Tages im vergangenen Jahr, an dem die Riten der Bona Dea zelebriert wurden? Kannst du das dem Gericht mitteilen?«
    »Ja, ich erinnere mich sehr genau.« Cicero wandte seinen Blick von Crus zu den Geschworenen. »Er war in meinem Haus.«
    Aufgeregtes Gemurmel bei den Geschworenen und unter den Zuschauern. Clodius rief laut: »Lügner!« Sofort fingen seine Anhänger wieder an zu buhen und zu pfeifen. Der Prätor namens Voconius mahnte zur Ruhe. Dann gab er dem Anklagevertreter ein Zeichen, fortzufahren.
    »Daran besteht kein Zweifel?«, fragte Crus.
    »Nicht der geringste. Andere Mitglieder meines Haushalts haben ihn auch gesehen.«
    »Warum hat der Angeklagte dich aufgesucht?«
    »Kein besonderer Anlass, nur ein Höflichkeitsbesuch.«
    »Wäre es dem Angeklagten, nachdem er dein Haus verlassen hatte, deiner Meinung nach möglich gewesen, bis Sonnenuntergang Interamna zu erreichen?«
    »Nur wenn er sich mit Flügeln genauso gut auskennt wie mit Frauenkleidern.«
    Allgemeine Heiterkeit. Sogar Clodius lächelte.
    »Fulvia, die Frau des Angeklagten, behauptet, an jenem Abend zusammen mit ihrem Mann in Interamna gewesen zu sein. Was sagst du dazu?«
    »Nun ja, die Freuden des Ehelebens werden ihre Sinne wohl derart beeinträchtigt haben, dass sie die Wochentage durcheinandergebracht hat.«
    Das Gelächter dauerte diesmal noch länger, und auch Clodius konnte sich wieder nicht zurückhalten. Fulvia jedoch starrte einfach geradeaus, mit einem Gesicht wie eine Kinderfaust, klein, weiß, verkrampft: Schon damals konnte sie einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.
    Crus hatte keine weiteren Fragen, kehrte zu seinem Platz zurück und überließ das Wort Clodius’ Anwalt Curio. Zweifellos war dieser ein mutiger Mann auf dem Schlachtfeld, der Gerichtssaal war jedoch nicht seine Arena. Er trat dem großen Redner gegenüber wie ein nervöser Schuljunge, der mit einem Holzstock eine Schlange anstupst. »Wie man hört, ist mein Mandant schon seit langem dein Feind.«
    »Ganz und gar nicht. Bis zu diesem Sakrileg pflegten wir freundschaftliche Beziehungen.«
    »Und dann wurde er dieses Verbrechens angeklagt, und du hast ihn im Stich gelassen.«
    »Nein, erst hat ihn sein Verstand im Stich gelassen, und dann hat er das Verbrechen begangen.«
    Wieder Gelächter. Der Anwalt der Verteidigung schaute ärgerlich. »Du behauptest, dass mein Mandant dich im vergangenen Jahr am vierten Tag des Dezembers besucht hat.«
    »Das ist richtig.«
    »Es ist doch ein verdächtig passender Zufall, dass du dich so plötzlich an den Tag erinnerst, an dem Clodius dich besucht hat.«
    »Dass es genau dieser Tag war, ist wohl eher für den Angeklagten ein passender Zufall.«
    »Was meinst du damit?«
    »Nun ja, ich bezweifle, dass Clodius so viele Abende im Jahr in Interamna verbringt. Doch durch einen bemerkenswerten Zufall war der Abend, an dem er sich an jenem abgelegenen Ort aufhielt, genau jener Abend, an dem er laut Aussage von einem Dutzend Zeugen in Frauenkleidern in Rom herumgehüpft ist.«
    Während die Zuschauer sich immer besser unterhielten, lächelte Clodius nun nicht mehr. Er hatte jetzt eindeutig genug davon, dass man seinen Anwalt wie einen Tanzbären vorführte, und gestikulierte in seine Richtung, dass er zu seiner Bank kommen solle, er wolle mit ihm sprechen. Doch Curio, der auf die sechzig zuging und nicht daran gewöhnt war, dass man sich über ihn lustig machte, verlor die Beherrschung und fing an, mit den Armen in der Luft herumzufuchteln.
    »So mancher Trottel hier wird dein Wortgeklingel für sehr witzig halten, ich aber sage, dass du dich geirrt hast und dass mein Mandant dich an einem ganz anderen Tag besucht hat.«
    »Was den Tag angeht, bin ich mir vollkommen sicher – und zwar aus einem sehr guten Grund. Es war das erste Jubiläum des Tages, an dem ich die Republik gerettet habe. Du kannst mir glauben, ich werde immer Grund genug haben, mich an den vierten Tag des Dezembers zu erinnern.«
    »Wie auch die Frauen und Kinder der Männer, die du ermordet hast!«, rief Clodius. Er sprang auf. Voconius ermahnte Clodius, sich wieder zu setzen, aber der beachtete ihn nicht und

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