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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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kostenloses Brot für alle. Jubel, Trubel, Heiterkeit an jeder Straßenecke. Kein Wunder, dass das ankommt.« Er dachte eine Zeit lang nach. »Weißt du, welche Reaktion er jetzt von mir erwartet?«
    »Nein.«
    »Er erwartet, dass ich die Gesetze ablehne, und zwar nur deshalb, weil sie von ihm kommen. Genau das will er. Dann kann er sich hinstellen und sagen: ›Schaut ihn euch an, euren Cicero, so ist er, der Freund der Reichen! Er meint, Senatoren sollen gut essen und ihren Spaß haben, aber wehe euch Armen, wenn ihr um ein Stück Brot bittet, damit ihr euch nach einem harten Arbeitstag auch ein bisschen entspannen könnt!‹ Verstehst du? Er will mich locken, ich soll die Gesetze bekämpfen, damit er mich auf dem Marsfeld vor das Volk zerren und mich beschuldigen kann, ich führte mich auf wie ein König. Zum Henker mit ihm! Die Genugtuung werde ich ihm nicht verschaffen. Ich werde ihm zeigen, dass ich das Spiel besser spielen kann.«
    Ich bin mir immer noch nicht sicher, wie viel von Clodius’ Gesetzesvorschlägen er hätte verhindern können, wenn
er es wirklich darauf angelegt hätte. Er hatte einen gefügigen Volkstribun, Ninnius Quadratus, der auf Ciceros Geheiß sein Veto eingelegt hätte, und jede Menge ehrbarer Bürger im Senat und unter den Rittern wären ihm zur Seite gesprungen. Es waren Männer, die glaubten, dass die Armen durch kostenloses Brot vom Staat abhängig würden und ihre Sitten somit verlotterten. Die Staatskasse würde das Gesetz pro Jahr einhundert Millionen Sesterze kosten und den Staat wiederum von seinen Auslandseinkünften abhängig machen. Sie glaubten auch, dass die Collegien die Sittenlosigkeit förderten und dass die Organisation des Gemeindelebens den offiziellen religiösen Institutionen vorbehalten bleiben solle. Vielleicht hatten sie mit alldem Recht. Aber Cicero war flexibler. Er erkannte, dass die Zeiten sich geändert hatten. »Pompeius hat die Republik mit billigem Geld überschwemmt« , sagte er zu mir. »Das vergessen sie. Hundert Millionen sind nichts für ihn. Entweder bekommen die Armen ihren Anteil, oder sie bekommen unsere Köpfe —und mit Clodius haben sie einen Anführer gefunden.«
    Und so beschloss Cicero, seine Stimme nicht gegen Clodius’ Gesetze zu erheben, und konnte noch einmal für einen letzten kurzen Augenblick – wie eine zum letzten Mal aufflackernde Kerze – etwas von seiner alten Popularität genießen. Er wies Quadratus an stillzuhalten, versagte sich selbst, Clodius’ Pläne zu verdammen, und wurde in den Straßen bejubelt, nachdem er verkündet hatte, dass er die vorgeschlagenen Gesetze nicht anfechten werde. Dafür wurde ihm am ersten Tag des Januar, als der Senat unter den neuen Konsuln zusammentrat, eine besondere Ehre zuteil: Er durfte als dritter Redner nach Pompeius und Crassus sprechen. Als der präsidierende Konsul, Caesars Schwiegervater Calpurnius Piso, ihm das Wort erteilte, nutzte er die Gelegenheit zu einem seiner grandiosen Aufrufe zu Einigkeit und Versöhnung. »Ich werde die von unserem Kollegen Clodius
eingebrachten Gesetze nicht bekämpfen, blockieren oder verhindern«, sagte er, »vielmehr möchte ich meinem inständigen Wunsch Ausdruck verleihen, dass wir diese schwierigen Zeiten nutzen mögen, um wieder Harmonie zwischen Senat und Volk einkehren zu lassen.«
    Diese Worte wurden mit viel Beifall aufgenommen, und als es an Clodius war zu antworten, äußerte sich der auf ähnlich überschwängliche Weise. »Die Zeit liegt noch nicht weit zurück, da Marcus Cicero und ich die freundschaftlichsten Beziehungen pflegten«, sagte er mit aufrichtig empfundenen Tränen in den Augen. »Ich glaube, die Zwietracht zwischen uns beiden wurde gesät von einer gewissen ihm nahestehenden Person.« Das war eine Anspielung auf das Gerücht von Terentias Eifersucht auf Clodia. »Heute jedoch begrüße ich seine staatsmännische Haltung gegenüber den berechtigten Forderungen des Volkes.«
    Als Clodius’ Gesetze zwei Tage später angenommen wurden, feierten alle Collegien ihre Wiederauferstehung, und die Begeisterung schwappte über die Hügel und durch die Täler Roms. Die Festlichkeiten waren keine spontane Demonstration, sondern wurden von Clodius’ rechter Hand, einem Schreiber namens Cloelius, sorgfältig geplant. Arme Bürger, Freigelassene und Sklaven trieben Schweine durch die Straßen, opferten sie, ohne dass Priester die Riten beaufsichtigten, und brieten das Fleisch auf offener Straße. Bei Einbruch der Nacht stellten sie ihr

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