02 Titan
Wunden lecke ich heute noch!« Sein hartes, freudloses Lachen brach so abrupt ab, wie es angefangen hatte. »Hör zu, Cicero, auf eins kannst du dich verlassen: Sollte er zu einer Bedrohung werden, ich stehe bereit, um dir zu helfen.«
Cicero war augenscheinlich erstaunt. »Wirklich? Wie denn?«
»Durch dieses Doppelkommando werde ich ziemlich viel auf dem Schlachtfeld zu tun haben. Ich werde einen Legaten für die zivile Verwaltung in Gallien benötigen. Du wärst die ideale Besetzung. Das würde dich nicht viel Zeit kosten, du könntest so oft nach Rom reisen, wie du wolltest. Aber als Mitglied meines Stabs würdest du Immunität vor Strafverfolgung genießen. Denk darüber nach. Würdest du mich jetzt entschuldigen?« Er nickte höflich und wandte sich dann dem etwa ein Dutzend Senatoren zu, die unbedingt auch noch mit ihm sprechen wollten.
Cicero schaute ihm erstaunt hinterher. »Das ist ein verlockendes Angebot«, sagte er. »Äußerst verlockend sogar. Wir müssen ihm einen Brief schreiben, dass wir es uns ernsthaft überlegen. Das brauchen wir unbedingt für unsere Unterlagen.«
Und das taten wir dann. Als Caesar noch am gleichen Tag antwortete und bestätigte, dass der Legatsposten Cicero sicher sei, wenn er ihn wolle, schaute Cicero zum ersten Mal seit langem wieder zuversichtlicher in die Zukunft.
Dank Bibulus’ wiederholter Fürbitte um ungünstige Vorzeichen fanden die Wahlen in jenem Jahr später als üblich statt. Aber der Unglückstag konnte nicht ewig verschoben werden, und im Oktober erfüllte sich Clodius’ Herzenswunsch, und er wurde zum Volkstribun gewählt. Cicero ersparte sich die Qual, bei die Verkündung des Ergebnisses auf dem Marsfeld persönlich anwesend zu sein. Was auch gar nicht nötig war: Das begeisterte Jubelgeschrei konnten wir auch hören, ohne das Haus verlassen zu müssen.
Am zehnten Tag des Dezembers wurde Clodius als Volkstribun
vereidigt. Wieder blieb Cicero in seiner Bibliothek. Aber der Jubel war so groß, dass wir ihm auch bei verschlossenen Türen und Fensterläden nicht entkommen konnten, und schon kurz darauf drang vom Forum die Nachricht zu uns herauf, dass schon erste Einzelheiten der Gesetze, die Clodius einzubringen gedenke, an den Wänden des Tempels des Saturn angeschlagen seien. »Er verschwendet keine Zeit«, sagte Cicero mit grimmigem Gesichtsausdruck. »Nun denn, Tiro, lauf runter zum Forum, und schau nach, welches Schicksal unser kleiner Schönling für uns in petto hat.«
Wie man sich leicht vorstellen kann, war ich sehr besorgt, als ich die Stufen zum Forum hinunterging. Die Versammlung war schon vorbei, aber immer noch standen Menschengruppen beisammen und diskutierten über das, was sie gerade gehört hatten. Es herrschte eine erregte Atmosphäre, so als wären die Menschen Zeuge eines spektakulären Ereignisses gewesen, das sie nur gemeinsam verarbeiten konnten. Ich musste mich mühsam durch die Menge drängeln, um bis zum Anlass für all die Aufregung vorzudringen. Vier Gesetzesvorschläge waren am Tempel des Saturn angeschlagen. Ich zückte Griffel und Wachstafel. Erstens: Beschneidung des traditionellen Rechts der Konsuln zur Verkündung ungünstiger Vorzeichen, um in Zukunft ein Verhalten wie das von Bibulus zu verhindern. Zweitens: Einschränkung der Befugnisse der Zensoren, Mitglieder des Senats aus der Kammer auszuschließen. Drittens: Wiederzulassung der Collegien (derartige Bürgervereinigungen waren sechs Jahre zuvor wegen gewalttätiger Übergriffe vom Senat verboten worden). Viertens: Zum ersten Mal in der Geschichte Roms habe jeder Bürger – das war das Gesetz, über das alle redeten – Anspruch auf eine kostenlose monatliche Brotration.
Ich notierte die Kernpunkte und eilte zurück, um Cicero Bericht zu erstatten. Die Geheimgeschichte seines Konsulats
lag ausgerollt vor ihm auf dem Schreibtisch, er wollte gerade die Ausarbeitung seiner Verteidigung in Angriff nehmen. Nachdem ich ihm die wesentlichen Punkte von Clodius’ Gesetzesvorschlägen dargelegt hatte, lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück. Er war völlig verblüfft. »Also kein einziges Wort über mich?«
»Nicht eins.«
»Das ist doch nicht möglich, dass er mich nach all den Drohungen in Ruhe lassen will.«
»Vielleicht ist er sich doch nicht so sicher, wie er vorgibt.«
»Lies mir die Gesetze noch mal vor.« Ich tat wie befohlen, und er hörte konzentriert, mit halb geschlossenen Augen zu. »Alles sehr populistisch«, sagte er, als ich fertig war. »Lebenslang
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