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02 Titan

02 Titan

Titel: 02 Titan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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lärmendes Treiben nicht ein, sondern entzündeten Fackeln und Kohlenpfannen und sangen und tanzten weiter. (Es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, was bei großen Menschenmengen stets zur Folge hat, das die Emotionen höher schlagen.) Sie tranken, bis sie sich übergaben. Sie hurten in den Gassen. Sie rotteten sich zu Banden zusammen, die aufeinander einschlugen, bis das Blut durch die Rinnsteine floss. In den eleganteren Wohngegenden, vor allem auf dem Palatin, verkrochen sich
die Wohlhabenden in ihren Häusern und warteten auf das Abklingen der dionysischen Wallungen. Cicero schaute von seiner Terrasse aus zu, und ich spürte, dass er sich jetzt schon fragte, ob er nicht einen Fehler begangen habe. Aber als Quadratus ihn aufsuchte und sich erkundigte, ob er nicht ein paar Beamte zusammentrommeln und versuchen solle, die Leute zu beruhigen, antwortete Cicero, dafür sei es schon zu spät – das Wasser koche jetzt ordentlich, es gebe keine Möglichkeit mehr, den Deckel wieder auf den Topf zu bekommen.
    Um Mitternacht nahm der Lärm allmählich ab. In den Straßen wurde es ruhig – abgesehen von lautem Geschnarche, das im Dunkeln aus dem einen oder anderen Winkel des Forums emporstieg wie das Gequake von Ochsenfröschen in einem Sumpf. Dankbar ging ich zu Bett. Doch ein oder zwei Stunden später wurde ich wieder geweckt. Von einem Geräusch, das vermeintlich sehr weit weg war und bei Tag niemandem aufgefallen wäre: Nur die Stunde und die nächtliche Stille ließen es so bedrohlich erscheinen. Es war das Geräusch von Hämmern auf Ziegelstein.
    Ich nahm eine Lampe, ging hinauf ins Erdgeschoss, entriegelte die Hintertür und trat auf die Terrasse. Die Stadt lag immer noch im Dunkeln, die Luft war mild. Ich konnte nichts sehen. Den Krach allerdings, der vom östlichen Teil des Forums kam, konnte ich hier draußen deutlicher hören. Ich konzentrierte mich und konnte einzelne Hammerschläge unterscheiden – deren Klang manchmal für sich allein, öfter aber wie eine Art Geläut, Metall auf Stein, über die schlafende Stadt wehte. Das Geräusch war so stetig, dass es mir vorkam, als schufteten da unten mindestens ein Dutzend Arbeitskolonnen. Hin und wieder hörte ich Rufe, dann plötzlich das rauschende Geräusch von Schutt, der ausgekippt wurde. In diesem Augenblick erkannte ich, dass da nicht gebaut, sondern etwas abgerissen wurde.
    Cicero stand wie immer kurz nach Morgengrauen auf, und wie immer ging ich zu ihm in die Bibliothek, um zu fragen, ob er irgendetwas brauche. »Hast du das Hämmern heute Nacht gehört?«, fragte er mich. Ich bejahte. Er streckte den Kopf vor und lauschte. »Jetzt ist es still. Ich frage mich, was das wieder für ein Unfug war. Los, wir gehen runter und schauen nach, was die Schurken im Schilde führen.«
    Wir traten auf die leere Straße vor dem Haus – es war noch zu früh, als dass sich schon Klienten eingefunden hätten  – und gingen hinunter zum Forum. Einer von Ciceros muskulösen Leibwächtern begleitete uns. Auf den ersten Blick sah alles normal aus – abgesehen von den paar Schutthaufen, die das nächtliche Zechgelage hervorgebracht hatte, und dem einen oder anderen Volltrunkenen, der seinen Rausch ausschlief. Als wir uns jedoch dem Tempel des Castor näherten, blieb Cicero plötzlich stehen und stieß einen entsetzten Schrei aus. Der Tempel war auf die grässlichste Weise verschandelt worden. Die Stufen, die zu den Säulen an seiner Vorderseite hinaufführten, waren herausgerissen worden, jeder, der den Tempel betreten wollte, sah sich einer zerklüfteten Mauer gegenüber, die so hoch wie zwei Männer war. Der Schutt war zu einem Schutzwall aufgeschüttet worden, und der Zugang zum Tempel war nur über ein paar Leitern möglich, die von einigen Männern mit Vorschlaghämmern bewacht wurden. Der Ziegelwall sah hässlich, roh, nackt aus, wie eine verstümmelte Leiche. Mehrere große Schilder hingen daran. Auf einem stand: PUBLIUS CLODIUS VERSPRICHT KOSTENLOSES BROT FÜR ALLE. Ein anderes forderte: TOD DEN FEINDEN DES RÖMISCHEN VOLKES. Ein drittes verhieß: BROT UND FREIHEIT. Unterhalb Augenhöhe hingen noch weitere, ausführlichere Anschläge, die wie Gesetzentwürfe aussahen und vor denen sich drei oder vier Dutzend lesende Menschen drängelten. Über ihnen, auf dem Podiumssockel des Tempels,
bildeten Männer eine Postenkette, bewegungslos, wie Figuren auf einem Fries. Als wir näher kamen, erkannte ich mehrere von Clodius’ engsten Handlangern – Cloelius,

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