02 Titan
Patina, Scato, Pola Servius: Schurken, die in den alten Zeiten zu Catilinas Bande gehört hatten. Etwas abseits standen Marcus Antonius und Caelius Rufus und auch Clodius selbst.
»Das ist ungeheuerlich«, sagte Cicero vor Zorn bebend. »Ein Sakrileg, ein Skandal …«
Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Wenn wir sie sehen konnten, dann konnten sie sicher auch uns sehen. Ich berührte Cicero am Arm. »Ich glaube, Ihr wartet lieber hier, Senator. Ich gehe allein nach vorn und schaue nach, was es mit den Gesetzesvorschlägen auf sich hat. Es wäre, glaube ich, nicht besonders klug, wenn Ihr noch weiter nach vorn geht. Die Burschen machen einen ziemlich rabiaten Eindruck.«
Unter den Blicken von Clodius und seinen Genossen bahnte ich mir schnell einen Weg bis zur Mauer. Zu beiden Seiten standen Männer mit stark tätowierten Armen, die sich auf ihre Vorschlaghämmer stützten und mich streitlustig anschauten. Schnell ging ich die Aushänge durch. Wie ich vermutet hatte, waren es neue Gesetze, zwei, um genau zu sein. Eines betraf die Verteilung der Provinzen an die Konsuln im nächsten Jahr: Macedonia ging an Calpurnius Piso, Syria (wenn ich mich recht erinnere) an Aulus Gabinius. Der andere Gesetzentwurf war sehr kurz, er umfasste nur einen einzigen Satz: »Es wird zum Kapitalverbrechen erklärt, eine Person mit Feuer und Wasser zu versorgen, die einen römischen Bürger ohne Gerichtsverfahren getötet hat.«
Ich schaute begriffsstutzig auf die Worte und erkannte erst nicht deren Tragweite. Dass sie auf Cicero abzielten, war klar. Aber Ciceros Name wurde nicht erwähnt. Das Gesetz schien mir eher dazu bestimmt zu sein, seine Anhänger einzuschüchtern
und zu drangsalieren, als ihn persönlich zu bedrohen. Doch dann, als ob sich meine Seele von innen nach außen kehrte, begriff ich die teuflische Gerissenheit. Ich spürte einen bitteren Geschmack im Hals und schluckte heftig, sonst hätte ich mich übergeben. Als ob der Schlund des Orcus sich vor mir öffnete, stolperte ich zurück, ohne allerdings die Augen von den Worten losreißen zu können. Ich stolperte immer weiter zurück, als könnte ich dadurch die Worte verschwinden lassen. Dann hob ich den Blick und sah, dass Clodius mich unverhohlen anschaute, lächelnd, jeden Moment auskostend, und dann drehte ich mich um und rannte zu Cicero zurück.
An meinem Gesichtausdruck sah er sofort, wie übel es stand. »Nun?«, fragte er ängstlich. »Was ist es?«
»Clodius hat ein Gesetz über Catilina bekanntgemacht.«
»Das auf mich abzielt?«
»Ja.«
»So schlimm, wie dein Gesicht vermuten lässt, kann es ja wohl nicht sein. Um Himmels willen, sag schon, was hat es mit mir zu tun?«
»Ihr werdet nicht einmal erwähnt.«
»Was für ein Gesetz ist es dann?«
»Es wird zum Kapitalverbrechen erklärt, eine Person mit Feuer und Wasser zu versorgen, die einen römischen Bürger ohne Gerichtsverfahren getötet hat.«
Cicero fiel das Kinn herunter. Sein Verstand hatte schon immer schneller gearbeitet als meiner. Ihm waren die Konsequenzen sofort klar. »Das ist alles? Nur ein Satz?«
»Das ist alles.« Ich senkte den Kopf. »Es tut mir leid.«
Cicero packte mich am Arm. »Dann ist es schon ein Verbrechen, wenn mir jemand hilft zu überleben. Nicht einmal einen Prozess wollen sie mir zugestehen.«
Plötzlich wanderten seine Augen an mir vorbei, über meine Schulter, zu dem verunstalteten Tempel hin. Ich drehte
mich um und sah, dass Clodius ihm zuwinkte – eine langsame und höhnische Geste, als verabschiedete er sich von jemandem, der auf eine lange Schiffsreise ging. Gleichzeitig stiegen ein paar von Clodius’ Schergen die Leitern herab. »Am besten, wir verschwinden jetzt«, sagte ich. Cicero reagierte nicht. Sein Mund bewegte sich zwar, aber mehr als ein schwaches Krächzen brachte er nicht heraus. Als ob man ihn gewürgt hätte. Ich schaute wieder zum Tempel. Die Männer waren auf dem Boden angelangt und bewegten sich jetzt auf uns zu. »Senator«, sagte ich mit fester Stimme. »Wir müssen verschwinden, sofort.« Ich machte dem Leibwächter ein Zeichen, der packte Ciceros anderen Arm, und zusammen zerrten wir ihn über das Forum in Richtung der Treppe, die hinauf zum Palatin führte. Der Schlägertrupp folgte uns, und vom Tempel flogen uns kleine Gesteinsbrocken um die Ohren. Cicero schrie auf, weil ihn ein scharfer Ziegelsplitter am Hinterkopf traf. Erst als wir den Hügel schon halb hinaufgestiegen waren, hörte der Geschossregen auf.
Als sich
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