02 Titan
und ein oder zwei Stunden später gingen die Sklaven durch das düstere Haus und zündeten die Kerzen an. Der Liktor hat Curius wahrscheinlich nicht gefunden, dachte ich. Doch dann hörten wir, wie die Haustür geöffnet und wieder zugeschlagen wurde, und der Liktor erschien mit dem Senator, der uns argwöhnisch anschaute – erst Cicero, dann Atticus, Quintus, Terentia und mich, dann wieder Cicero. Er war zweifellos eine ansehnliche Erscheinung, das musste man ihm lassen. Sein Laster war die Spielsucht, nicht der Alkohol, das Würfelspiel hinterlässt wohl weniger Spuren.
»Tja, Curius«, sagte Cicero ruhig, »das ist eine schreckliche Angelegenheit.«
»Ich rede nur allein mit dir. Nicht in Gegenwart anderer.«
»Nicht in Gegenwart anderer? Bei allen Göttern, du redest, wenn ich so sagen darf, in Gegenwart des gesamten römischen Volkes! Hast du sie getötet?«
»Sei verflucht, Cicero!«, stieß Curius hervor und wollte sich auf den Konsul stürzen, wurde aber von dem blitzschnell aufgesprungenen Quintus zurückgehalten.
»Ruhig, Senator«, sagte er mit warnender Stimme.
»Hast du sie getötet?«, fragte Cicero noch einmal.
»Nein!«
»Aber du weißt, wer es getan hat.«
»Ja. Du.« Er versuchte Quintus zur Seite zu stoßen, aber Ciceros Bruder war ein erfahrener Soldat und hielt ihn mühelos zurück. »Du hast sie getötet, du Bastard«, rief er wieder und versuchte sich aus Quintus’ kräftigen Armen zu befreien. »Weil du sie zu deiner Spionin gemacht hast!«
»Ich bin bereit, meinen Teil der Schuld zu tragen«, sagte Cicero und schaute ihm kühl ins Gesicht. »Was ist mit dir?«
Curius brummte etwas Unverständliches, machte sich von Quintus los und wandte sich ab.
»Weiß Catilina, dass du hier bist?«
Curius schüttelte den Kopf.
»Wenigstens etwas. Hör mir jetzt genau zu. Ich gebe dir eine Chance. Wenn du schlau bist, dann nutzt du sie. Du hast dein Schicksal an einen Wahnsinnigen gekettet. Wenn du das vorher noch nicht gewusst hast, jetzt weißt du es. Wie konnte Catilina erfahren haben, dass sie bei mir war?«
Wieder brummte Curius etwas, was keiner verstehen konnte. Cicero hielt sich eine Hand ans Ohr. »Was? Was hast du gesagt?«
»Weil ich es ihm erzählt habe!« Curius schaute Cicero mit tränenfeuchten Augen wütend an und schlug sich mit der Faust auf die Brust. »Sie hat es mir erzählt, und ich habe es ihm erzählt!« Und wieder hieb er sich auf die Brust, hart, immer wieder, so wie die heiligen Männer im Osten ihre Toten beklagen.
»Ich muss alles wissen. Verstehst du mich? Namen, Orte, Pläne, Zeiten. Ich muss wissen, welche Person an welchem Ort das Attentat auf mich verübt. Wenn du es mir nicht sagst, dann ist das Hochverrat.«
»Und wenn ich es sage, dann ist es auch Verrat.«
»Das Böse zu verraten ist eine Tugend.« Cicero stand auf.
Er legte die Hände auf Curius’ Schultern und schaute ihm fest in die Augen. »Deine Geliebte hat mich aufgesucht, weil ihr deine Sicherheit so sehr am Herzen lag wie meine. Ich musste ihr beim Leben meiner Kinder versprechen, dass ich dir Immunität gewähre, sollte das Komplott jemals aufgedeckt werden. Denk an sie, Curius, wie sie jetzt daliegt, schön, mutig, zerschlagen, erweise dich ihrer Liebe und ihres Gedenkens würdig, und handle – du weißt, was sie jetzt von dir erwartet hätte.«
Curius weinte. Angesichts des herzzerreißenden Bildes, das Cicero heraufbeschworen hatte, konnte auch ich kaum die Tränen zurückhalten. Das und das Versprechen der Immunität gaben den Ausschlag. Als Curius sich wieder einigermaßen in der Gewalt hatte, versprach er, sollten ihm Einzelheiten über Catilinas Pläne zu Ohren kommen, Cicero sofort Bescheid zu geben. Somit blieb Ciceros dürftiger Informationsfluss aus dem Lager des Feindes aufrechterhalten.
Er brauchte nicht lange zu warten.
Am nächsten Tag, dem Vortag der Wahlen, hatte Cicero turnusgemäß eine Senatssitzung zu leiten. Aus Angst vor einem Hinterhalt schlugen wir einen verschlungenen Weg am Esquilin entlang und dann über die Via Sacra ein, der doppelt so lang war wie sonst. Es war bereits früher Nachmittag, als wir im Senat eintrafen. Der kurulische Stuhl stand am Eingang, und Cicero setzte sich in den Schatten und las, umgeben von seinen Liktoren, einige Briefe und wartete darauf, dass die Auguren ihre Weissagungen vornahmen. Mehrere Senatoren traten auf ihn zu und fragten ihn, ob er schon gehört habe, was Catilina angeblich heute Morgen gesagt habe. Anscheinend habe
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