02 Titan
wurden. Sie wussten, wie gerissen Cicero war, und es war offensichtlich, dass sie sich fragten, ob er die ganze Geschichte erfunden habe, um seinen Feind in Verruf zu bringen. Ihre Reaktion entmutigte Cicero, seine Selbstsicherheit begann zu schwinden.
Es gibt Zeiten in der Politik, wie auch im Leben ganz allgemein, in denen einem alles misslingt, egal, was man tut. Dies war so eine Phase. Die Wahlen ohne Erklärung wie geplant stattfinden zu lassen wäre einem wahnwitzigen Glücksspiel gleichgekommen. Andererseits stünde er mit einer Verschiebung ohne stichhaltigen Beweis als nervöser
Angsthase da. Cicero zerbrach sich eine schlaflose Nacht lang den Kopf darüber, was er dem Senat sagen solle. Und ausnahmsweise sah man ihm das am Morgen auch an. Die entsetzliche Anspannung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Als der Senat am nächsten Tag wieder zusammentrat, war auf den Senatorenbänken kein Fingerbreit Platz mehr. Senatoren standen Seite an Seite an den Wänden und blockierten die Gänge. Sofort nach Tagesanbruch waren die Auspizien gedeutet und die Türen geöffnet worden. Niemand konnte sich erinnern, dass der Senat jemals so früh zusammengekommen war. Und trotzdem machte sich schon die Sommerhitze bemerkbar. Die Frage lautete: Würden die Konsulatswahlen heute stattfinden oder nicht? Draußen auf dem Forum drängelten sich die Bürger, die meisten von ihnen Anhänger Catilinas. Ihre zornigen Gesänge, mit denen sie die Durchführung der Wahl forderten, konnte man in der Kammer hören. Vor den Stadtmauern auf dem Marsfeld wurden die Gatter und die Wahlurnen aufgestellt. Im Senatsgebäude herrschte eine Atmosphäre wie vor einem Gladiatorenkampf. Als Cicero aufstand, schaute ich zu Catilina. Er saß im Kreis seiner Kumpane auf seinem Platz in der ersten Bankreihe und verströmte die gewohnt kühle Überheblichkeit. Caesar saß mit verschränkten Armen ganz in der Nähe.
»Senatoren Roms«, begann Cicero. »Kein Konsul greift mit leichter Hand in den heiligen Ablauf einer Wahl ein – vor allem kein Konsul, der wie ich alles, was er hat, seiner Wahl durch das römische Volk verdankt. Gestern jedoch erfuhr ich von einem Komplott, das dieses allerheiligste Ritual entweihen soll – ein Komplott, eine Intrige, eine Verschwörung verzweifelter Männer, die sich das Getümmel des Wahltages zunutze machen wollen, um euren Konsul zu ermorden, um die Stadt in Chaos zu stürzen und so die Kontrolle über den Staat an sich zu reißen. Diese abscheuliche
Machenschaft wurde nicht in irgendeinem fremden Land oder in der Höhle eines verderbten Verbrechers ausgebrütet, sondern im Herzen unserer Stadt, im Hause des Sergius Catilina.«
Die Senatoren hörten in völliger Stille zu, als Cicero den anonymen Brief von Curius (»Du wirst morgen während der Wahlen ermordet«), gefolgt von Catilinas Worten ( »Wie lange, tapfere Kameraden, werden wir das noch erdulden … ?«) vorlas. Als er fertig war, gab es kein einziges Augenpaar, das nicht auf Catilina gerichtet war. »Nach dieser aufrührerischen Tirade«, schloss Cicero, »zogen sich Catilina und andere zurück, um – und das nicht zum ersten Mal – darüber zu beraten, wie ich am besten zu ermorden sei. Dies, Senatoren Roms, ist der Stand meines Wissens, über den euch in Kenntnis zu setzen ich für meine Pflicht hielt, damit ihr entscheiden könnt, wie nun am besten verfahren werden soll.«
Er setzte sich, und nach einer Pause rief jemand wütend: »Antworte!« Andere nahmen den Ruf auf und schleuderten ihn Catilina wie einen Wurfspeer entgegen. »Antworte! Antworte!« Catilina zuckte mit den Achseln, zeigte die Andeutung eines Lächelns und erhob sich dann. Er war ein Riese, seine physische Erscheinung allein reichte aus, um die Kammer eingeschüchtert verstummen zu lassen.
»Damals, in den Zeiten, als Ciceros Vorfahren noch Ziegen vögelten, oder womit auch immer sie sich damals in den Bergen, wo er herkommt, ihre Zeit vertrieben …« Lautes Gelächter schnitt ihm das Wort ab, Gelächter, das muss gesagt werden, zum Teil auch aus den Bankreihen der Patrizier rund um Catulus und Hortensius. »Damals also«, fuhr Catilina fort, als der Lärm sich gelegt hatte, »als meine Vorfahren Konsuln waren und diese Republik noch jünger und mannhafter war, wurden wir geführt von Kämpfern, nicht von Anwälten. Unser gebildeter Konsul hier beschuldigt
mich des Aufruhrs. Wenn er es so nennen will, gut, dann ist es Aufruhr. Ich aber nenne es die Wahrheit. Wenn ich mir
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