02 - Winnetou II
über fünfzig sind es nicht. Einige müssen doch bei den Pferden bleiben, welche vorn an der Mauer stehen. Da ist es nicht zu erwarten, daß sie auch hinten Leute hingestellt haben.“
„Gut, so können wir es versuchen, Sir. Ihr und einer der Peons mögt die Sache übernehmen. Wir werden es so einrichten, daß sie euch nicht hinabsteigen sehen, und auch dann stellen wir uns so zusammen, daß sie uns nicht zählen und also bemerken können, daß zwei von uns fehlen. Die Damen mögen euch helfen, und wenn ihr hinaus seid, das Schränkchen wieder vorschieben.“
„Und noch einen Vorschlag. Könnten wir nicht grad die Damen in die Krankenstube bringen? Wenn die Roten sehen, daß Frauen da wohnen, werden sie doppelt überzeugt sein, daß sich kein Indianer dort befunden hat.“
„Ganz recht!“ bemerkte Señor Atanasio. „Ihr braucht nur einige Decken zu legen und aus den Zimmern meiner Frau und Tochter die Hängematten hinabzuschaffen. Haken zum Aufhängen derselben sind in jeder Stube des Hauses vorhanden. Die Damen mögen sich hineinlegen. Ihr aber findet für den Apachen das beste Versteck gleich unterhalb der Stelle des Flusses, an welcher Ihr vorhin gebadet habt. Dort hängen dichte, blühende Petunienranken bis in das Wasser herab, unter denen wir unsern Kahn versteckt haben. Legt Ihr den Apachen hinein, so kann kein Comanche ihn finden. Petro mag mit Euch gehen. Erst wenn Ihr zurückgekehrt seid, werden wir den Indianern erlauben, das Innere des Hauses zu betreten.“
Ich stieg mit dem Peon, welcher Petro hieß, hinab, wo die beiden Damen voller Sorge auf die Entwicklung des Ereignisses warteten. Als wir ihnen mitteilten, um was es sich handle, waren sie uns zur Ausführung unseres Vorhabens schnell behilflich. Sie selbst trugen Decken und Hängematten herbei. In eine der ersteren wurde der Apache gewickelt. Als er hörte, daß die Comanchen da seien, um nach ihm zu suchen, sagte er mit schwacher Stimme:
„Inda-nischo hat viele Winter gesehen, und seine Tage sind gezählt. Warum sollen die guten Bleichgesichter sich seinetwegen ermorden lassen? Sie mögen ihn den Comanchen überantworten, ihn aber vorher töten. Er bittet sie darum.“
Ich antwortete ihm nur durch ein energisches Kopfschütteln. Dann trugen wir ihn aus der Stube. Das Schränkchen wurde zur Seite gerückt und der Transport des Verwundeten glücklich bis hinaus vor die Mauer bewerkstelligt. Bisher hatte uns niemand gesehen. Draußen gab es Strauchwerk, welches uns für den Augenblick verbarg. Zwischen diesem und dem nahen Fluß aber zog sich ein freier Streifen hin, den wir quer zu durchschreiten hatten. Ich lugte vorsichtig hinaus und gewahrte zu meiner Enttäuschung einen Comanchen, welcher am Boden saß und Lanze, Köcher und Bogen vor sich liegen hatte. Er hatte die hintere Seite der Mauer zu bewachen, ein Umstand, welcher die Ausführung unseres Planes unmöglich zu machen schien.
„Wir müssen wieder zurück, Señor“, sagte der Peon, als ich ihm den Roten zeigte. „Wir könnten ihn zwar töten, aber das würde die Rache der andern auf uns laden.“
„Nein, töten auf keinen Fall. Aber es muß doch möglich sein, ihn zu entfernen, ihn fort zu locken.“
„Das glaube ich nicht. Er wird seinen Posten nicht verlassen, bis er abgerufen wird.“
„Und doch habe ich einen Plan, welcher mir vielleicht gelingt. Du bleibst hier versteckt; ich aber lasse mich von ihm sehen. Sobald er mich bemerkt, tue ich, als ob ich erschrecke, und fliehe. Er wird mich verfolgen.“
„Oder Euch einen Pfeil in den Leib geben.“
„Das muß ich freilich riskieren.“
„Tut es nicht, Señor! Es ist zu gewagt. Die Comanchen schießen mit ihren Bogen ebenso sicher wie wir mit den Büchsen. Wenn Ihr flieht, kehrt Ihr ihm den Rücken zu und könnt den Pfeil nicht sehen und ihm ausweichen.“
„Ich fliehe über den Fluß. Wenn ich auf dem Rücken schwimme, sehe ich ihn schießen und tauche sofort nieder. Er wird glauben, daß ich irgend etwas gegen die Seinen im Schilde führe und mir wahrscheinlich ins Wasser folgen. Drüben mache ich ihn für uns unschädlich; ich betäube ihn durch einen Hieb auf den Kopf. Du verläßt diesen Platz nicht eher, als bis ich zurückkehre. Ich habe vorhin beim Baden das Petuniengerank gesehen und weiß also, wo der Kahn sich befindet. Ich werde denselben holen und grad hier gegenüber anlegen.“
Der Peon gab sich Mühe, mich von meinem Vorsatz abzubringen, aber ich durfte nicht auf seine Einwendungen hören, da
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