020 - Zug der Verlorenen
weißen Wolken abzeichnete, wanderte mit quälender Langsamkeit über die Himmelskuppel. Irgendwann, als die Sklaven im Zug schon dem Zusammenbruch nahe waren, war es endlich so weit. Die Dämmerung brach herein - und Emroc befahl seinen Leuten, das Nachtlager aufzuschlagen.
Es war die gleiche Prozedur wie an jedem Tag. Die Wächter suchten eine Lichtung aus, auf der sie die Sklaven zusammen trieben.
Endlich wurde den Gefangenen eine Rast gegönnt, und erschöpft sanken sie auf den weichen, sandigen Boden nieder.
Während Emrocs Bedienstete das Zelt aufschlugen, in dem der Sklavenmeister zu nächtigen pflegte, und ihm ein wahres Festmahl aufzutischen begannen, bekamen auch die Sklaven eine Mahlzeit - die Einzige des ganzen Tages. Mehrere Schlauche mit stinkendem Wasser wurden ihnen zugeworfen, dazu ein paar Beutel mit Brot, das bereits Schimmel angesetzt hatte.
Wie an jedem Tag entbrannte ein gna- denloser Kampf um die wenige Verpflegung. Und wie an jedem Tag machten sich Emroc und seine Wachen einen Spaß daraus, dem niederen Kampf ums Überleben zuzusehen.
Vergeblich hatten sich Matt und Aruula an den ersten Tagen darum bemüht, das Chaos zu ordnen und dafür zu sorgen, dass jeder etwas von dem Proviant bekam. Der Hunger, der Durst und die Erschöpfung des Tages hatten ihre Mitgefangenen fast um den Verstand ge- bracht; jeder dachte nur an sich selbst, das Recht des Stärkeren herrschte.
Zwei Frauen stritten sich um einen Schlauch mit Wasser, zerrten ihn so lange hin und her, bis er zerriss. Ein Kampf um die Brotstücke endete mit einigen blauen Augen und Flecken.
»Platz da!«, grunzte Grath und stieß rücksichtslos eine junge Frau zur Seite, die ein Stück vom Boden aufgelesen hatte. »Das gehört mir, verstanden?«
Gierig griff der Hüne mit dem narbigen, bärtigen Gesicht nach dem Brot und stopfte es sich in seinen gierigen Schlund. Als der junge Crane nach einem Brocken schnappen wollte, der aus Graths Mund gefallen war, ging die Rechte des Riesen wie ein Blitz auf ihn nieder, packte ihn und riss ihn empor.
»Hey du!«, fuhr Grath den Jüngling an, der ihn aus entsetzt geweiteten Augen anstarrte.
»Was fällt dir ein? Habe ich dir erlaubt, meine Krümel zu fressen?«
Crane antwortete nicht, starrte ihn nur weiter an.
»Antworte gefälligst, du miese Missgeburt!«, forderte Grath - doch der junge Mann mit den blassen Zügen schwieg beharrlichweiter. Mit einem resignierenden Seufzen stieß der Hüne Crane von sich.
Matt hatte für sich und Aruula eine ausreichende Portion erhascht, ohne dabei rücksichtslos vorgehen zu müssen, und zog sich mit seiner Gefährtin ein paar Schritte zurück, so weit es eben geduldet wurde. Der ständige Kampf um die Nahrung widerte ihn an, dochändern konnte er es nicht. Hätte er versucht, Grath ins Gewissen zu reden, wäre nur ein weiterer kraftraubender Kampf dabei heraus gekommen. Und er brauchte seine Energie für den nächsten Marsch.
Die Sonne war fast untergegangen, Dunkelheit fiel wie ein Schatten über das Land. Die Sklaven wurden zu einem engen Häuflein zusammengetrieben, damit sie leichter zu bewachen waren. Andronenreiter patrouillierten um das Lager, machten ein Entkommen prak- tisch unmöglich.
Die Reiter, die auf den riesigen, gefährlich aussehenden, flügellosen Insekten thronten, trugen zu ihren Peitschen mannshohe Lanzen bei sich. Die Fußwachen waren zusätzlich mit Armbrust und Pfeilen bewaffnet - Emroc wollte nichts dem Zufall überlassen.
Die Sklaven kannten die Regeln, die für die Nacht galten. Sie mussten still sitzen bleiben, durften weder aufstehen noch sich hinlegen.
Wer sich dennoch rührte, wurde von den Sklaventreibern furchtbar bestraft - es gab keine Ausnahme. Wer schlafen wollte, musste dies im Sitzen tun, wer eine Notdurft zu verrichten hatte, tat es am besten an Ort und Stelle. Am Morgen würde die Lichtung erbärmlich nach Kot und Urin stinken - und für die Wächter würde dies nur ein weiterer Grund sein, ihre wehrlosen Opfer zu traktieren.
Matt rückte eng mit Aruula zusammen. Die beiden lehnten sich Rücken an Rücken, sodass sie nicht Gefahr liefen, umzukippen, sobald sie einschliefen.
In der ersten Nacht hatte Matt kein Auge zugetan. Die Nähe der anderen, die Geräusche des Waldes und die Gedanken an eine Ungewisse Zukunft hatten ihn wachgehalten. Schon in der darauffolgenden Nacht jedoch hatte Matts Erschöpfung ihren Tribut gefordert, und er hatte gelernt, in einen Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen zu
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