0204 - Herr der Grünen Hölle
knirschend aufeinander. Der Speer war drohend zum Wurf erhoben, in der Linken drohte der Dolch mit der angespitzten Knochenklinge. In den Händen eines Mannes, der sie täglich zur Jagd und zur Selbstverteidigung benötigt, waren das absolut tödliche Waffen.
Dem hatte Michael Ullich außer seinen Fäusten und seiner blitzschnellen Reaktion nichts entgegenzusetzen.
Der Deutsche zwang sich, innerlich ruhig zu bleiben. Er durfte sich weder von Furcht noch von Haß übermannen lassen. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er jede kleine Bewegung des Gegners.
Er durfte in seiner Aufmerksamkeit keinen Moment nachlassen, sonst war es um ihn geschehen.
Dann sah er etwas in den Augen seines Kontrahenten aufglimmen. Geistesgegenwärtig ließ er sich fallen. Zischend sauste der Speer über ihn hinweg. Michael Ullich rollte sich herum und war mit einem Satz wieder auf den Füßen.
Keine Sekunde zu früh. Mit einem fürchterlichen Kriegsschrei und hochgeschwungenem Dolch sprang ihn der Wilde an. Michael erwischte den Waffenarm des Indios. Ein gekonnter Judo-Griff, aufkreischend machte die bemalte Gestalt einen Salto und landete unsanft im Gras. Das Messer segelte durch die Luft und landete irgendwo in einem Gebüsch. Aber wie eine Katze, die man von sich wirft, kam der Eingeborene wieder auf die Füße. Noch einmal sprang er den jungen Mann an. Seine Augen blitzten blanke Mordlust.
Michael Ullich holte weit aus mit der Rechten. Instinktiv ließ er den Arm mit aller Kraft, die noch in seinem fünfundzwanzigjährigem Körper war, vorschnellen.
Der Indio wurde im Sprung wie von einer Dampframme getroffen. Und die Faust explodierte genau an der Schläfe des Kannibalen. Erst später wurde sich Ullich darüber klar, daß er exakt Old Shatterhands Jagdhieb ausgeführt hatte.
Aber dieser Jagdhieb war tödlich gewesen. Und in dem Mann keimte etwas wie Schuldgefühl, als er die regungslose Gestalt zu seinen Füßen liegen sah. Und wenig konnte er sich damit herausreden, daß der Wilde alle Vorteile auf seiner Seite gehabt hatte.
Aber er hatte keine Zeit, hier lange zu verweilen. Er mußte fort, mußte alle seine Kräfte noch zusammennehmen. Er durfte sich keine Schonung gönnen. Noch nicht.
Denn seine Freunde waren in Gefahr. In tödlicher Gefahr. Und er, Michael Ullich, war der einzige, der von ihrer verzweifelten Lage wußte.
Liebend gerne hätte er sich jetzt in das hohe Gras fallen lassen.
Schlafen - nur schlafen. Das war das einzige Verlangen, was er im Moment hatte. Aber er riß sich zusammen. Mit der Armbanduhr und dem Stand der Sonne kontrollierte er die Himmelsrichtung.
Dort hinten, ja, dort, mußte das Camp sein. Dort waren Menschen. Dort war die Zivilisation. Dort würde er Hilfe bekommen.
Und Michael Ullich schleppte sich weiter durch den Dschungel.
***
In Eberhard Äbeler würgte die Angst. Das, was er in den letzten Tagen erleben mußte, ging über seinen Verstand.
Nicht nur, daß er feststellen mußte, daß es diese Welt der Geister und Dämonen wirklich gab. Hier lag er nun, der Kopf eines großen Konzerns, der Mann, vor dem hunderte von Mitarbeitern in gehobenen Stellungen dienerten und um ihre Stellung zitterten, der Mann, von dem ein Federstrich ganze Wirtschaftsimperien zum Einsturz bringen konnte.
Und nun - mit Rindenseilen gefesselt im Dreck eines Kannibalendorfes liegend, stets die grausige Gewißheit vor Augen, zum Lobe einer finsteren Gottheit sterben zu müssen.
Er mußte entfliehen. Er mußte versuchen, den Wächter zu bestechen. Es fiel sicher nicht auf, wenn der ihn frei ließ.
Ein halblauter Ruf ließ einen der häßlichen Eingeborenen näher kommen. Äbeler überwand seinen Ekel, der ihn überkam, als der Wilde sein Gesicht ganz nahe an das seine schob und er den Atem und den Körpergeruch des Mannes aus dem Busch spürte.
Der Kannibale stank, als wenn hundert Pestgräber geöffnet worden wären. Etwas würgte in Eberhard Äbeler und er mußte krampfhaft schlucken, daß es drin blieb.
»Du mußt mich entkommen lassen!« stieß er leise hervor. Der Indio sah ihn groß und fragend an. Äbeler wiederholte seine Worte, die er vorhin in Englisch gesprochen hatte, in Spanisch, dann in Deutsch. Nichts. Der Wilde verstand nichts.
Der Wirtschaftskapitän versuchte es in Portugisisch! Da huscht ein leichter Schimmer des Erkennens über das Gesicht des Indios.
»Schneide mich los!« verlangte Äbeler, sich nur mühsam zügelnd. Und er drehte sich und hielt dem Mann, von dem in der Dunkelheit
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