0204 - Herr der Grünen Hölle
unzivilisierten Volksstamm galten die Genfer Abkommen nicht.
»Los, Nici! Wir müssen durch!« raunte er seiner Lebensgefährtin zu. Sie nickte tapfer. Der Parapsychologe wußte, daß sie wie eine Katze kämpfen würde.
»Auf drei stürmen wir los und rennen sie über den Haufen!« sagte er. »Eins, zwei, drei - und los!«
All ihre Kraft nahmen sie zusammen, als sie losspurteten. Sirrend kam von irgendwoher ein Netz geflogen als Zamorra, der ein Meister in einem halben Dutzend asiatischer Kampfsportarten war, die Reihen der Krieger brüllend und mit Händen und Füßen um sich schlagend zu durchbrechen versuchte.
Es gelang dem Parapsychologen nicht, die tückischen Maschen abzustreifen. Mit jeder Bewegung verwickelte er sich noch mehr.
Und dann waren sie über ihm, schreiend warfen sie sich auf ihn, nagelten ihn am Boden fest. Und andere kamen mit dünnen, aber haltbaren Stricken aus irgendwelchen Fasern. Kleine, flinke Hände ergriffen seine Hände und Füße und banden sie zusammen.
Stickiger Atem quoll dem Parapsychologen entgegen, als sich einer der Indios über ihn beugte und ihm breit und großspurig in’s Gesicht grinste und dazu etwas Unverständliches sagte.
Aber es schien nichts Gutes zu bedeuten. Aus den Augenwinkeln bemerkte Professor Zamorra, daß es auch Nicole nicht gelungen war, zu fliehen.
Sie würde also sicherlich sein Schicksal teilen. Und was das war, wagte Professor Zamorra sich nicht vorzustellen.
Der Indio hatte vorher so einen schmatzenden Laut ausgestoßen. Und er hatte sich den Bauch gerieben, so, wie es kleine Kinder tun, wenn sie zeigen wollen, daß es ihnen gut schmeckt.
Sollten diese Indios wirklich Menschenfresser sein?
***
Die Angst peitschte Michael Ullich vorwärts. Sein Atem ging rasselnd, der Puls hämmerte. Schweiß floß in Bächen über sein Gesicht und das lange Blondhaar hing verklebt herunter.
Vorwärts! Nur vorwärts! So hämmerte es in ihm.
Michael Ullich war Langstreckenläufer und schnitt bei einheimischen Volksläufen ganz gut ab. Zehn Kilometer schaffte er spielend unter fünfunddreißig Minuten. Aber jetzt war er durch die Strapaze der vergangenen Tage abgekämpft, hatte vorher nicht seine diversen Electrolyth-Getränke und Traubenzuckerrationen bekommen und außerdem war es etwas anderes, durch einen weglosen Urwald zu laufen als durch die einheimischen Fichtenwälder Nordhessens zu joggen.
Lange würde er dieses Tempo nicht mehr durchhalten. Ein Wunder, daß er es überhaupt bis hierher geschafft hatte. Und wieder konnte er sich nur dazu beglückwünschen, ausgerechnet bei dieser Tour seine TRX-Laufschuhe angezogen zu haben. In dem modischen, hochhackigen Schuhwerk, das er sonst trug, wäre er nicht so weit gekommen.
Hinter sich hörte er die Verfolger. Sie jagten ihn wie eine Meute Hunde. Aber er war nicht Willens, sich bis zur Besinnungslosigkeit hetzen zu lassen. Seine Hand hielt immer noch den Kampfstock. Und die Indios hatten so eine Art Dolch im Gürtel.
So ein Ding mußte er sich beschaffen. Und da sie es ihm nicht gutwillig geben würden, mußte er kämpfen.
Michael Ullich hatte früher Abenteuerromane gelesen, wie er Englischvokabeln oder Mathe-Formeln hätte büffeln müssen. Aber nun entsann er sich einiger Tricks, die von den Helden der damaligen Abenteuer-Schmöker in Heftform angewand wurden.
Sicherlich wäre er mit dem angewandten Satz des Pythagoras oder einem englisch geführten Shakespear-Monolog hier nicht so weit gekommen.
Flink wie ein Eichkater begann er, einen Baum zu erklimmen. Schon bald entdeckte er einige Lianen, die für seinen Zweck wie geschaffen schienen.
Mit kundiger Hand knüpfte er eine Laufschlinge, jederzeit darauf achtend, daß das dicke Blätterwerk ihn vor den Blicken der Indios versteckte.
Die fünf Indios begannen zusammen zu palavern. Der Deutsche verstand zwar ihre Worte nicht, konnte sich aber sein Teil denken.
Dann trennten sich die bemalten Wilden. Anscheinend versuchte jeder, im näheren Umkreis die Spur Ullichs wieder zu entdecken, die von der markanten Noppensohle in den weichen Waldboden gedrückt war und jedem auffallen mußte.
Die Spur endete unter einem mächtigen, ausladenden Ast und die Indios konnten es sich in ihrer kühnsten Fantasie nicht vorstellen, daß der Gejagte so hoch gesprungen sein konnte.
Denn sie waren kleinwüchsig und hatten nie andere Menschen gesehen. Michael Ullich aber ragte fast auf einsneunzig und hatte es geschafft, den Ast im Sprung zu erreichen. Mit letzter
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