0205 - Die goldene Kralle
Abschluß. Sein menschliches Auge leuchtete in der gleichen kalten Pracht wie das des Tigers.
Und König las in diesem Blick einen unabänderlichen Entschluß.
Der Wertiger wollte ihn töten.
Er knurrte. Dieses Knurren wurde tief in seiner Kehle geboren, es war als Warnung gedacht, und gleichzeitig beging der Wertiger damit einen entscheidenden Fehler. Er gab dem Jäger Gelegenheit, seinen Schrecken abzuschütteln.
Gerd König erinnerte sich wieder an das Gewehr. Er hatte die Waffe nicht losgelassen. Sie lag zwar am Boden, mit der rechten Hand jedoch hielt er sie krampfhaft fest.
Und er schoß.
Die Gestalt war breit und wuchtig genug, um sie treffen zu können, ohne lange zu zielen. Mit dem Kolben hatte er das Gewehr in den sumpfigen Boden gestützt, die Waffe schien in seiner Faust zu explodieren, Mündungsfeuer leuchtete zweimal hintereinander auf.
Das Krachen der Waffe hallte durch den Wald, schreckte auch die drei Inder auf, die bisher abgewartet hatten, denn nun hämmerten auch ihre Gewehre.
Die Echos der Schüsse rollten durch das Buschwerk. Vögel, die vom Auftauchen der Bestie bisher nicht aufgeschreckt worden waren, stoben kreischend davon.
Der Wertiger bekam die Kugeln voll.
Einige hieben in seinen Rücken, zwei hatten ihn in die Brust getroffen, und diese beiden Kugeln waren es, die einen Sprung schon im Ansatz vereitelten.
Der Tiger drehte sich auf der Stelle. Der rechte Arm schlug um sich, er durchbrach mit wütenden Schlägen das Unterholz, die goldene Kralle fetzte Streifen in uralte Bäume, und die waidwund geschossene Bestie drehte vollends durch.
Mit Brachialgewalt drang sie in das Unterholz ein, zerfetzte es und spürte die zerstörerische Kraft des Silbers, das seinen Körper regelrecht auffraß.
Die vier Männer verständigten sich durch Rufe. Sie wollten den Wertiger sterben sehen und, falls es nötig war, ihm noch ein paar geweihte Silberkugeln mitgeben.
Die auf- und abtanzenden Strahlen der Taschenlampen sahen aus wie Gespenster. Sie rissen helle Löcher in die Dunkelheit, glitten lautlos über den Boden, durchdrangen das Unterholz und vereinigten sich bei der Bresche, die der fliehende Wertiger geschlagen hatte.
Mandi hatte die Führung übernommen. Er erreichte den Sterbeplatz der Bestie als erster.
Zur Hälfte lag der Wertiger in einem Wasserloch. Die Kugeln hatten große Wunden in seinem Körper gerissen, das Fell regelrecht verbrannt, und dort, wo sie steckengeblieben waren, sahen die Männer den silbrigen Schimmer.
Die Bestie starb, Verzweifelt versuchte sie, auf die Beine zu kommen. Sie warf ihren Oberkörper dabei herum, streckte ihre verschiedenen Arme aus, hackte mit Kralle und Finger in den Untergrund, aber sie brachte es nicht mehr fertig, der endgültigen Vernichtung zu entgehen.
Das Fell an ihrer rechten Seite, so wunderbar gestreift, wurde grau und unansehnlich. Es sah hinterher aus wie Asche und rieselte ab. Der Blick der Augen brach. Bevor er völlig verschwand, da saugte er sich noch einmal an Gerd König fest, und der Jäger glaubte, so etwas wie ein Versprechen darin zu lesen.
Bisher hatte er selten in seinem Leben Angst verspürt. Nur als kleines Kind, als er auf dem Eis eingebrochen war. Nun aber kam dieses Gefühl zurück.
Er spürte Angst vor der Bestie.
Ein letztes Zucken des Zwitters – aus.
Ein Toter lag vor den Männern. Die rechte Seite verkohlt, die andere Hälfte normal.
Er bot ein schauriges Bild, und den Indern erstarb das Siegesheulen auf den Lippen. Sie senkten die Köpfe. Ihre Haltung wirkte irgendwie beschämend.
»Schafft ihn weg!« sagte Gerd König.
»Und wohin?«
»In das sumpfige Wasserloch. Dort wird ihn niemand finden. Der Fluch dieser Bestie ist gelöscht.«
Die drei Inder kippten ihre Gewehre. Mit den Kolben drückten sie den vernichteten Wertiger in das Sumpfloch hinein, wo er für allen Zeiten verschwand.
Ein paar Blasen stiegen der Oberfläche entgegen und zerplatzten dort.
Erst jetzt spürte Gerd König, daß er den Angriff doch nicht so unbeschädigt überstanden hatte. Ein Hieb mit der Kralle hatte ihn an der rechten Seite verletzt. Die Wunde lief über die Schulter, den Arm und erreichte auch die Hand. Das meiste Blut war von der Kleidung aufgesaugt worden.
»Sie sind verletzt«, sagte Mandi.
»Ach, nur ein Kratzer«, krächzte der Deutsche.
Er wollte die Schwäche nicht zugeben und lehnte sich an einen Baum, sonst wäre er noch gefallen. Als die Inder ihm helfen wollten, schüttelte er den Kopf. Er wollte
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