0205 - Die goldene Kralle
Deshalb wickelte ich mich enger in meinen Burberry.
Auf Hamburg war ich gespannt. Schon zahlreiche Städte der Welt hatte ich gesehen. Hamburg noch nicht. Ich hoffte nur, daß wir dazu kamen, uns die Stadt richtig anzuschauen und natürlich eine der berühmten Hafenrundfahrten zu unternehmen.
An den Wertiger dachte ich momentan nicht. Daran sollte ich noch früh genug erinnert werden…
***
Sie hieß Erna Bindalla und stammte aus Ostpreußen.
Fast 60 Jahre zählte sie, war ziemlich groß, dabei noch stabil und sie besaß eine Eigenschaft, wie man sie heute so gut wie nicht mehr findet.
Erna Bindalla putzte aus Leidenschaft!
Jawohl, ihr machte es Spaß, Wohnungen, Büros, Hallen und Treppen zu säubern. Putzen war zu ihrem Lebenselixier geworden, und ihr Mann hatte mal gesagt, dir geben sie noch einen Putzeimer mit ins Grab, damit du auch deinen Sarg sauber hältst.
So schlimm war es natürlich nicht, aber Erna Bindalla hatte sage und schreibe sechs Putzstellen pro Tag. Das brachte immerhin soviel ein, daß sie sich einen kleinen Wagen leisten konnte. Einen roten Renault R 4. Sein Inneres war groß genug, um auch ihre Putzutensilien aufzunehmen, denn darin war sie eigen.
Mit fremden Sachen putzte sie nicht. Sie hatte sich ihre eigenen zugelegt.
Um sechs Uhr begann der erste Job. Das Kontor König wurde jeden Tag gesäubert. Dazu mußte Erna Bindalla in die Nähe des Hafens fahren, denn dort lagen die Räume der Firma.
Um diese Zeit war noch nicht viel Betrieb in Hamburg. Sie kam gut durch, fuhr über die große Eibbrücke auf die Billhorner Brückenstraße und erreichte dort den Verteiler. Sie ließ die Abfahrt zu den Großmarkthallen hinter sich und rollte auf der breiten Amsinckstraße weiter.
Links sah sie die Markthallen.
Dort herrschte bereits reger Betrieb. Zahlreiche Wagen fuhren an.
Hochbeladen mit frischem Gemüse, denn die Weltstadt wollte versorgt werden. Die Plätze vor den Hallen waren hellerleuchtet. Die starken Halogenlampen schufen eine kalte, weiße Lichtinsel.
In der Banksstraße, nördlich des Oberhafens, lag das erste Ziel der Putzfrau. Hier hatte in einem großen Bürohaus auch die Firma König ihren Sitz. Die Fenster der Büros wiesen nach Süden. Damit der Chef und die Angestellten die Schiffe sehen konnten, die ihre Waren in alle Welt brachten.
Erna Bindalla genoß das uneingeschränkte Vertrauen des Chefs.
Deshalb hatte sie auch einen Schlüssel bekommen, damit sie die Räume der Firma betreten konnte.
Auf dem kleinen Parkplatz für die Angestellten stoppte sie ihren Wagen, stieg aus, öffnete die Klappe am Heck und nahm ihre Putzutensilien hervor.
Eimer, Aufnehmer, ein großer Gummiwischer und einen Besen, den ihr Mann nach ihren Angaben angefertigt hatte.
So »bewaffnet« ging sie auf die Hintertür zu und schloß auf.
Kaum war die Tür offen, als ihr der Nachtwächter entgegenkam.
Die beiden kannten sich, und der Rentner, der nachts Wache schob, fragte wie immer das gleiche.
»Wie geht’s«
»Einigermaßen.«
»Na, denn einen schönen Tag noch.«
»Gleichfalls.«
Der Rentner verschwand. Sein Job war um sechs Uhr beendet.
Besondere Vorkommnisse hatte es nicht gegeben.
Im vierten Stock lagen die Büros der Firma. Erna Bindalla fuhr mit dem Aufzug hoch. Dort hing ein Spiegel an der Wand. Sie schaute hinein und sah ein volles Gesicht, mit leicht geröteten Wangen und einer ebenso roten Nase. Ihr kurzes Haar war schwarz wie das Gefieder eines Raben. Sie ließ es alle zwei Wochen nachtönen, der einzige Luxus, den sie sich erlaubte.
Im Gang brannte die Notbeleuchtung. Der Teppich auf dem Boden schluckte ihre Schritte bis zur Geräuschlosigkeit. Es war still bis auf das Summen der Heizkörper.
Erna Bindalla kannte den Weg. Beginnen würde sie im Chefbüro und dem großen Vorzimmer, wo tagsüber die Sekretärin Judith van der Berg Geschäftspartner empfing.
In einem der Schränke stand auch der Staubsauger, den Erna für ihre Arbeit benötigte. Wischen mußte sie in zwei Räumen. Sie lagen weiter hinten. Dort wurden die Produkte der Firma ausgestellt.
Kleine Modelle großer Maschinen, die das Unternehmen in alle Welt exportierte.
Diese Räume waren nicht mit einem Teppichboden versehen, sondern nur gefliest.
Erna Bindalla besaß auch einen Schlüssel zur Tür des Vorzimmers. Mit sicherem Griff spickte sie ihn aus den zahlreichen anderen Schlüsseln hervor, schob ihn ins Schloß und öffnete.
Warme Luft schlug ihr entgegen. Die Räume waren
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