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0207 - Der Steinriese erwacht

0207 - Der Steinriese erwacht

Titel: 0207 - Der Steinriese erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Michael
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hatte und vergeblich daran rüttelte, hatte der Spuk um ihn herum feste Gestalt angenommen. Der blasse Mond schien auf häßliche Totengerippe, von denen einige noch halbzerfetzte Leichenhemden trugen.
    Zwar war Leben in ihnen, aber das Leben wußte noch nicht, wozu es der Ruhe des Grabes entrissen worden war.
    Ohne Ziel, wie Betrunkene im Vollrausch, wankten sie bald hier, bald dorthin. Und um sie herum wob der echte, englische Nebel einen mystischen Schleier.
    Leise rauschten die hochgewachsenen Bäume, die den Kirchturm umgaben. Hohl klang der Schrei eines Steinkauzes durch die Nacht. Dieser Nachtvogel, der Totenvogel, wie ihn der Volksmund heißt, hatte sein Nest in einer Mauernische des alten Turmes und schickte sich eben zur Nachtjagd an.
    Der Ruf ließ Carsten Möbius zusammenzucken. Er gab das fruchtlose Bemühen, durch Rütteln die sicherlich verschlossene Tür zu öffnen, auf. Dahinter verbarg sich sicher nur Schutt und Staub. Aber da oben - der Ruf.
    Wem mochte er gelten?
    Denn Möbius kannte den Ruf des Kauzes. Kuwitt! Kuwitt!
    »Und abergläubische Leute übersetzen diesen Ruf mit: Komm mit! Komm mit!«
    Komm mit - ins kühle Grab!
    Gewaltsam mußte Carsten Möbius nun an sich halten. Aberglaube oder nicht - es gibt Urängste im Menschen, gegen die er sich nicht wehren kann. Und diese Urängste begannen jetzt bei ihm auszubrechen.
    Er versuchte sich einzureden, daß es nur der Hunger sei, der ihn von dieser Stätte trieb. Außerdem hatte er ja alles gesehen. Was sollte denn das? Friedhof bei Nacht. Na, und?
    Jetzt wurde es Zeit, daß er sich nach einem Plätzchen umsah, wo er die Nacht sein müdes Haupt hinlegen konnte.
    Und dieses Plätzchen konnte ruhig ein Hotel sein.
    Abrupt drehte sich Carsten Möbius um und - erstarrte.
    Vor ihm tummelte sich der leibhaftige Schrecken.
    ***
    Der Puck sah, daß die Gestalten, die er aus der Tiefe des Grabes hervorgerufen hatte, vollendet waren. Bereit waren sie, ihm, ihrem Befreier aus dem kühlen Schoß der Erde, zu Diensten zu sein.
    Denn in dem, was einstmals ihren Verstand ausmachte, war nichts mehr. Sie waren wie Automaten, die erst nach einer bestimmten Schaltung das tun, was von ihnen verlangt wird.
    Wie Hunde, die auf den Befehl ihres Herren warten.
    Den Befehl, Schrecken zu verbreiten oder anzugreifen.
    Und der Puck gab diesen Befehl.
    »Tötet!« lautete die Weisung des Puck. »Ergreift das sterbliche Wesen, das diesen heiligen Bezirk durch seine Anwesenheit entweiht. Nehmt ihn mit Euch und tötet ihn. Er gehört Euch!«
    Und die dem Grabe Entstiegenen hatten verstanden.
    Waren sie vorher in einem wirren Totentanz durcheinandergetaumelt, so hatten sie nun ihr Ziel.
    Und dieses Ziel war - Carsten Möbius.
    Der hatte noch mit dem Schrecken zu tun, der ihn wie ein wildes Tier angesprungen hatte. Noch eben war er das einzige Lebewesen auf diesem Gottesacker gewesen. Und nun?
    Im blassen Licht des Mondes wimmelten die Verstorbenen. Sie torkelten hin und her, ohne Sinn und Verstand. Aber manchmal hob sich eine der dürren Knochenhände und machten Carstens geheime Hoffnung, daß es sich um einen üblen Scherz der heimischen Dorfjugend handeln könnte, zu nichte.
    Was man ihm von klein auf erzählt hatte, was immer er geglaubt hatte - es war falsch gewesen. Nein - es war nicht alles aus reiner Materie, was da lebte. Und die, welche da behaupteten, der Tod sei das Ende aller Dinge, sie hatten Unrecht.
    Mußten Unrecht haben, wenn das, was Carsten Möbius mit weitaufgerissenen Augen erblicken mußte, sich nicht als geschickte Fälschung erwies: Uralte Sagen und Legenden, wie sie ihm seine verstorbene Großmutter erzählt hatte, fielen ihm ein. Damals, ja, damals hatte sich der kleine Carsten verschreckt unter seiner Bettdecke versteckt, der einzig sichere Platz vor dem Spuk, der ihn in seiner kindlichen Fantasie bedrohte.
    Aber das waren keine Geister, die verstoben wie Nebelstreife, wenn man nur fest genug daran glaubte. Die Erscheinungen vor seinen Augen waren wirklich.
    Carsten Möbius wich unter den Schatten des uralten Kirchturmes zurück. Er mußte sich verstecken - mußte sich verbergen, bevor ihn das Gelichter der Nacht erspähte. Denn die Gespenster schienen ihn noch nicht bemerkt zu haben. Sie wogten auf und ab wie die abgestorbenen Blätter im rauhen Herbstwind.
    Den Atem anhaltend, jedes Geräusch vermeidend, ging Möbius rückwärts. Sorgsam tastete sein Fuß jeweils hinter sich, daß er nicht versehentlich aus einen trockenen Zweig trat und sich so

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