021 - Die Totenuhr
gebracht. Ich kehrte um und beugte mich über den Toten.
Mit meinem magischen Ring führte ich einen kurzen Test durch, der mir verriet, daß der Leichnam »sauber« war.
So hatte ich wenigstens die Gewißheit, daß der Tote sich nicht wieder erheben würde. Ein schwacher Trost. Ich fragte mich, ob ich dem Mann noch helfen hätte können, wenn ich ein paar Minuten früher an ihn gedacht hätte. Ich glaubte nicht.
Ich hatte auch für George Johnson nichts mehr tun können, als die vernichtende schwarze Kraft zu galoppieren begann; und vielleicht hätte ich nicht einmal vorher die Möglichkeit gehabt, zu verhindern, was Mago in Gang gesetzt hatte.
Ich stieg die restlichen Stufen hinunter. Unheimlich war es in dem stillen Haus. Ich brauchte nicht wieder durch das Fenster zu klettern, sondern legte den Riegel des Sicherheitsschlosses um und öffnete die Tür.
Vor den Stufen, die zum Hauseingang hochführten, stand ein grauhaariger Mann, der mich mißtrauisch musterte. »Wer sind Sie?« wollte er mit schneidender Stimme wissen. Ich sollte wohl Angst vor ihm haben, oder zumindest sollte ich erkennen, daß er sich nicht vor mir fürchtete.
»Tony Ballard, Privatdetektiv«, sagte ich. »Und wer sind Sie?«
»Bill Ferris, der Nachbar. Ich habe gesehen, wie Sie in dieses Haus eindrangen.«
»Ich mußte schnellstens hinein.«
»Privatdetektiv sind Sie?«
»Sogar mit einer gültigen Lizenz.«
»Das kann jeder behaupten. Darf ich die Lizenz mal sehen?«
Ich zeigte sie ihm. »Alles okay, Mr. Ferris?«
Er kratzte sich am Hinterkopf. »Entschuldigen Sie mein Miß- trauen, Mr. Ballard, aber man kann nicht vorsichtig genug sein.«
»Das sage ich auch immer«, erwiderte ich verständnisvoll.
»Was ist mit Dennis, Mr. Ballard?«
»Haben Sie ihn toben gehört?«
»Ja, ich dachte, er würde sein Haus zerlegen, und er brüllte dabei, als hätte ihn jemand auf die Folter gespannt. Seine Schreie gingen mir durch und durch.«
»Haben sie die Polizei verständigt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil das Geschrei plötzlich verstummte und wieder Ruhe war.«
»Hätte Ihnen das nicht zu denken geben müssen, Mr. Ferris? Dennis Maskell hätte in seinem Haus von Verbrechern überfallen worden sein können.«
Bill Ferris sah mich erschrocken an. »Liebe Gute, das ist doch nicht etwa passiert?«
»Nein, das nicht.«
»Gott sei Dank. Was war denn los mit Dennis? Warum hat er so furchtbar geschrien?«
Ich sagte es ihm, und er glaubte mir nicht. Natürlich nicht. Es gab mal eine Zeit, da hätte ich so etwas auch nicht geglaubt, aber das ist lange her.
Seither hat mich die Erfahrung gelehrt, daß es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als wir uns träumen lassen. Unser Leben ist von Gegensätzen geprägt.
Licht und Dunkel, Anfang und Ende, Schwarz und Weiß, Leben und Tod, Gut und Böse… Vor allem das Böse sorgt immer wieder dafür, daß wir nicht glücklich und zufrieden leben können, doch es hätte zu lange gedauert, um Bill Ferris all die Zusammenhänge klarzumachen. Er konnte froh sein, daß ihn das Schicksal noch nie mit dem Bösen konfrontiert hatte.
***
Unverändert bot sich im Kanallabyrinth das Grauen dar. Die Totenuhr bewegte lautlos ihre schweren Zeiger. Stunde um Stunde war vergangen, und Mago und seine Schergen warteten immer noch auf das Eintreffen des Dämons mit den vielen Gesichtern.
Nach wie vor lag die Leiche neben der Uhr, ein blonder, hagerer Mann.
Mago wurde allmählich ungeduldig. Er war es nicht gewöhnt, daß man ihn so lange warten ließ. Als er sich hier mit Rufus verabredete, dachte er, sie würden kurz hintereinander eintreffen.
Grimmig kniff der Schwarzmagier die Augen zusammen. Eine tiefe Abneigung gegen Rufus keimte in ihm. Verdammt, wenn er nicht die Hilfe des Dämons gebraucht hätte, wäre er jetzt schon nicht mehr hier gewesen.
Rufus wußte, daß er auf ihn angewiesen war. Vermutlich ließ er sich deshalb so viel Zeit. Mago blieb ja nichts anderes übrig, als zu warten. Einer der Schergen konnte sich kaum noch beherrschen.
Dort lag ein Toter, und er hatte Hunger. Eine tierhafte Gier glänzte in seinen Augen. Während Mago seinen Gedanken nachhing, kroch das ghoulähnliche Wesen langsam auf den Leichnam zu.
Mago überlegte, wie er Rufus diese diskriminierende Behandlung heimzahlen konnte. Vorläufig mußte er noch gute Miene zum bösen Spiel machen. Wenn er aber mit Rufus’ Hilfe sein Ziel erreicht hatte, brauchte er keine Rücksicht mehr zu nehmen.
Vielleicht würde er
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