022 - Der Sarg der tausend Tode
Fystanat Pech gehabt hatte, würden wir ihn wohl nie finden.
Ich fragte mich, wer diesen schwarzen Angriff gelenkt hatte. Rufus und Mago kamen meiner Ansicht nach nicht in Frage. Die mußten sich erst von der erlittenen Schlappe erholen.
Steckte vielleicht Atax, die Seele des Teufels, dahinter? Zuzutrauen wär’s ihm gewesen. Aber die Aktion mußte nicht unbedingt von jemandem geleitet worden sein, der mir bekannt war.
Das Höllenheer hatte viele Mitglieder und eines war so gefährlich und tückisch wie das andere. Seit ich allein war, wurde ich das Gefühl nicht los, daß mich jemand beobachtete.
Existierte die Gefahr, die möglicherweise Fystanat zum Verhängnis wurde, auch für mich? Ich blickte mich um, und in meiner Kehle bildete sich ein Kloß.
Auf eine Begegnung mit Monsterratten konnte ich liebend gern verzichten. Mir war nicht bekannt, über welche Fähigkeiten Fystanat verfügte, aber wenn er mit den Ratten nicht fertigwurde, würde wahrscheinlich auch ich nicht besonders gut aussehen, wenn es zu einer Konfrontation mit den Höllentieren kam.
Ich ging am Eingang einer Kneipe vorbei. Der summende Ventilator blies mir eine Dunstwolke aus Rauch, Schnaps und heißem Öl entgegen. Männergelächter erschallte.
Die Leute waren bester Laune. Sie ahnten nicht, daß hier ganz in der Nähe das Grauen zugeschlagen hatte. Wenn sie’s gewußt hätten, wären sie mit Sicherheit in großer Hast nach Hause geeilt.
Immer noch dieses lästige Gefühl! Ein Blick schien mich buchstäblich zu berühren. Ich drehte mich rasch und unvermittelt um und sah an der gegenüberliegenden Straßenecke ein Mädchen in einem langen schwarzen Kleid stehen.
Allein. Um diese Stunde. Das war ungewöhnlich. Sah sie zu mir herüber? Ich wußte es nicht, denn sie hatte sich bereits umgedreht und ging nun fort. Nach vier Schritten verschwand sie aus meinem Blickfeld.
Dunkelheit und Entfernung hatten mich das Gesicht des Mädchens nicht genau erkennen lassen. Dennoch war ich davon überzeugt, daß sie eine Schönheit war.
Aber das war nicht der Grund, weshalb ich ihr nachlief. Ich wollte ihr ein paar Fragen stellen. Zum Beispiel: Warum sie mich beobachtete. Warum sie um diese Zeit allein auf der Straße war.
Was sie von mir wollte…
Eigenartigerweise konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß ich diese Schönheit nicht zum erstenmal sah. Wo war sie mir schon mal begegnet? Ich glaubte, es würde mir einfallen, wenn ich ihr Gesicht genauer sah.
Mit langen Sätzen überquerte ich die Straße und erreichte die Ecke, an der das Mädchen gestanden hatte. Vor mir lag eine menschenleere, düstere Gasse. Der Asphalt schien sich aufgetan und das Mädchen verschluckt zu haben.
Doch mit dieser Erklärung gab ich mich nicht zufrieden. Ich lief weiter und hoffte, das Mädchen wieder zu entdecken. Meine Schritte hallten von den Gebäudefassaden wider.
Ich rannte an parkenden Fahrzeugen vorbei, die für diesen Tag ausgedient hatten und erst morgen früh wieder in Betrieb genommen werden würden. Zwischen diesen Autos konnte sich die Schöne versteckt haben.
Oder auch in den finsteren Haustürnischen und Einfahrten, an denen ich vorbeikam. Überall suchte ich die Unbekannte, doch ohne Erfolg, und das ärgerte mich.
Ich blieb stehen und wühlte in meinem Gedächtnis. Dieses Gesicht mit den ernsten, ebenmäßigen Zügen – wo hatte ich es schon mal gesehen? Hier in London oder in einer anderen Stadt? In einem anderen Land? In einer anderen Dimension?
Der letzte Gedanke traf den Nagel auf den Kopf, aber das erkannte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
***
Errol Lindsay öffnete die Haustür und machte Licht. Lachend und bester Laune trat die sechsköpfige Gruppe – bestehend aus drei Mädchen und drei Männern – ein.
Das Haus war eine Prachtvilla, die nach Lindsays Angaben gebaut worden war. Es glich einem Miniaturschloß mit Türmchen und Erkern, und drinnen gab es reichlich weißen Marmor.
Stephanie Didier, die kleine Französin mit dem lustigen Akzent, sah sich mit großen Augen um und sagte: »Ein Traum. Errol, ich wußte nicht, daß du so fürstlich wohnst.«
Lindsay lächelte. »Gefällt es dir?«
»Ich bin überwältigt.«
Er führte seine Freunde in die großzügige Halle, die er selbst – wie er mit Stolz behauptete – eingerichtet hatte, und alle waren sich einig, daß der beste Innenarchitekt nicht mehr Atmosphäre zustande gebracht hätte.
Errol Lindsay hatte das Gesicht eines Lausbuben, der immer darauf bedacht
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