022 - Ich der Vampir
nicht ab, als sie ihn festhielt und küsste. Aber nach einem Augenblick riss er sich los, als er spürte, wie die Realität zu entgleiten drohte, wie er zu vergessen drohte, dass es außer ihr noch eine andere Realität gab.
Mit einem Gefühl von Panik lief er die Stufen hinab und stieg in seinen Wagen. Er warf den Koffer auf den Rücksitz. Der Schlüssel steckte. Vick startete, und der Manta erwachte zu vibrierendem Leben. Er klammerte sich einen Augenblick lang an das Volant. Was immer auch in den letzten Tagen geschehen war – hier war endlich wieder die Realität. Diese Erkenntnis wirkte ungeheuer beruhigend. Ebenso das Licht der Scheinwerfer, das diese undurchdringliche Nacht aufhellte.
Der Wagen seiner Führerin setzte sich in Bewegung, und Vick folgte aufatmend ihrem Beispiel. Sekunden später war das Haus hinter ihm bereits nicht mehr sichtbar. Auch in dem kleinen Ort, durch den sie gleich darauf fuhren, brannten keine Lichter. Die Dunkelheit war allumfassend. Er erhaschte einen Blick auf den Himmel. Kein Stern war sichtbar.
Die Straße war ein finsterer Schlund. Vick wurde nervös, als sie kein Ende nahm. Es war ihm, als hätte er sie kürzer in Erinnerung. Aber dann tauchten endlich die Lichter von Max’ Servicestation in der Ferne auf, und Vick begann vor Erleichterung zu pfeifen. In wenigen Minuten würde er auf der Autobahn sein und den Alptraum endgültig hinter sich lassen. Die Nadel des Tankanzeigers stand auf halbvoll. Damit konnte er es bis München schaffen. Schlimmstenfalls würde er irgendwo tanken – aber nicht bei Max!
Die Station war hell und in vollem Betrieb. Die Autobahn zeigte einen ständigen Fluss von Lichtern. Als der Wagen vor ihm zum Parkplatz abbog, glitt der Manta in die Einfahrspur und war gleich darauf mit heulendem Motor im raschen Strom nach Süden.
Noch am selben Abend, gegen zehn. fand das Gespräch mit Pegler statt. Der Verleger war ein Mann mit unabänderlichen Prinzipien, aber Vicks Manuskript hatte es ihm offensichtlich angetan, so dass er auf Vandermanns Anruf hin sofort von Salzburg zurückgekommen war. Es kam noch vor Mitternacht zu einem Vertragsabschluß, der selbst den ewig leidenden Vandermann zu befriedigen schien. Pegler reiste dann sofort ab, ohne noch lange Diskussionen zu führen.
Vandermann aber stellte, wenn auch ergebnislos, pausenlos unangenehme Fragen. Doch Vick Danner blieb wortkarg.
Als Vandermann endlich fort war, fühlte Vick einen ungewohnten Tatendrang. Die übliche Müdigkeit, die ihn sonst spätestens zu mitternächtlicher Stunde erfasste und wie ein Magnet zum Bett zog, blieb aus. Und was noch nie geschehen war: trotz des ausgiebigen Essens um zehn fühlte er sich durch und durch hungrig.
Dann gab es noch eine andere Empfindung, die sich schon während der Fahrt seiner bemächtigt hatte und die den ganzen Abend lang gewachsen war: er sehnte sich nach Katalin. Und wie er sich nach ihr sehnte! Er fluchte darüber und kämpfte zeitweilig sogar dagegen an, aber es half alles nichts. Er musste sich wohl oder übel eingestehen, dass ihn das Biest ganz hübsch eingewickelt hatte. Sie war eine Hexe, daran zweifelte er längst nicht mehr.
Er nahm den Autoatlas zur Hand. Er erinnerte sich an die erste Ausfahrt, zu der er nach seiner Abfahrt von Max’ Station gekommen war. Heimsheim.
Er sah auf der Karte nach. Es lag zwischen Pforzheim und Stuttgart. Er erinnerte sich auch, dass er am Montag Pforzheim bereits hinter sich gehabt hatte. Irgendwo zwischen Heimsheim und Pforzheim musste das Kaff liegen. Aber er fand keine Ausfahrt.
Es gab wahrscheinlich auch keine Ausfahrt. Die kleine Straße führte hinter der Tankstelle von der Autobahn weg. Auf der Karte waren keine Orte eingezeichnet, die sich in sechs oder sieben Kilometer Entfernung von der Autobahn befinden konnten.
Dann rief er die Auskunft an und versuchte den Ortsnamen über die Vorwahlnummer zu erfahren. Auch hier wurde er jedoch enttäuscht. Das Fräulein von der Auskunft erklärte ihm, dass es diese Nummer in Deutschland nicht gäbe.
Die Sache wurde immer geheimnisvoller. Er ertappte sich schon bei dem verrückten Gedanken, dass der Ort gar nicht existierte. Dass das Ganze ein Alptraum gewesen war. Damit blieb dann nur noch eine Frage zu beantworten: Wo hatte er die letzten drei Tage verbracht?
Vielleicht bildeten diese paar Häuser in der Tat keinen offiziellen Ort. Das würde zumindest das Fehlen jeglicher Hinweisschilder erklären. Auch dass er nicht in die Karte
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