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verzog sie das Gesicht zu einem weichen Lächeln und antwortete:
„Ich denke, Sire, du hast einen Prinzen, auf den du stolz sein kannst."
William lachte herzhaft über ihre Antwort, und das verwirrte sie noch mehr. „Bei den Minnemalen Christi, Henry! Wir haben eine Diplomatin entdeckt." Väterlich tätschelte er ihr den Kopf. „Nun, steh nicht so mit offenem Mund herum. Hilf ihr, ihren Bruder zu finden." Während sie dem alten Mann die Ehre erwies, bevor sie ihn verließ, äußerte er: „Und heute Abend, Demoiselle, wirst du mit uns speisen."
Sie folgte Henry die steilen und schmalen Steinstufen hinunter in den Hof. Auf der letzten Stufe drehte der Prinz sich um und legte ihre Hand in seine Armbeuge. Die Blicke der Neugierigen folgten dem Sohn des Herzogs der Normandie und de Nantes' Tochter über den offenen Hof. Der Prinz
zeigte sich von seiner charmantesten Seite, und das Lachen der Demoiselle drang bis zu der Stelle hinauf, von wo William die beiden beobachtete. Vor der Rüstkammer, wo die Waffen untergebracht waren, blieb Henry stehen.
„Du wirst deinen Bruder da drinnen finden, Demoiselle. Mein Vater wollte ihn mit einer guten Rüstung und einem Helm ausgestattet wissen, ehe wir abreisen. Und dein Vater hat für deinen Bruder einen gut gefütterten Waffenrock und ein Schwert in Auftrag gegeben. Wenn dein Bruder die Leoparden der Normandie als Abzeichen trägt, wird er so gut ausgerüstet sein wie jeder von uns."
Plötzlich schossen Eleanor die Tränen in die dunklen Augen, als sie bei dem Hinweis auf Rogers Abreise stumm nickte. Henry hätte sich auf die Zunge beißen können, weil er die Demoiselle traurig gestimmt hatte. Er streckte die Hand aus, um eine schimmernde Träne fortzuwischen, und erteilte ernst den Rat: „Geduld, kleine Eleanor. Eines Tages wirst du mit deinem Bruder dem Hof des Herzogs der Normandie Ehre machen."
Die Stimmen hatten Roger zur Tür gelockt. Er blinzelte in das strahlende Sonnenlicht, bemerkte Henrys Geste und furchte angesichts der seiner Schwester durch den Prinzen bewiesenen Vertraulichkeit die Stirn. Unerklärlicherweise verärgerte ihn diese Vertraulichkeit.
Falls Henry das finstere Stirnrunzeln bemerkt hatte, ließ er sich das jedoch nicht ansehen. „FitzGilbert . . ." Er grinste. „Ich bringe dir deine sanfte Schwester. Sie war so darauf bedacht, dich unversehrt anzutreffen, dass sie in das Gemach des Herzogs der Normandie gedrungen ist."
„Ich dachte, ich würde dich im Raum unseres Vaters vorfinden", sagte sie zu Roger.
Henry tat weitere Erklärungen mit einer Geste ab und wandte sich ab. „Ich lasse dich in sicheren Händen, Demoiselle. Aber vergiss nicht - heute Abend teilst du mein Schneidebrett mit mir."
„Und was hatte das zu bedeuten, Lea?" Finster schaute Roger dem sich entfernenden Prinzen hinterher.
„Ich weiß es nicht. Ich bin gehalten, heute Abend an der Tafel mit dem Herzog zu speisen." Freudig streckte Eleanor die Hand aus und ergriff Rogers. „Stell dir vor, ich habe einen gesalbten König getroffen und mit ihm geredet, und ich wurde gebeten, mit ihm zu speisen!"
„Ich kann mir eine Menge Dinge vorstellen, Lea, und nichts davon gefällt mir." Roger zuckte zusammen, während er sich etwas vorbeugte, um einen von Gilberts Wolfshunden zu tätscheln. „Geh ein Stück mit mir, denn sonst werde ich von den Schlägen steif, die ich heute abbekommen habe."
Er zog Eleanor mit sich und wanderte ziellos mit ihr weiter - er seinen schmerzenden Körper zwingend und sie tief in Gedanken verloren. Keiner von ihnen schien zu bemerken, dass die Wachen sie nachsichtig beobachteten, während sie an ihnen vorbei durch das Tor strebten. Sie folgten der zur Stadt führenden Straße hinunter, bis diese sich zwischen der Stadt und dem Wald teilte. Für die Jahreszeit war es warm, und der Schatten der Bäume verlockte.
Roger blieb unter seiner Lieblingseiche stehen, streifte die schweißnasse Tunika ab und breitete sie aus, damit Eleanor sich darauf setzen konnte. Sie glättete den Rock und ließ sich nieder. Aufstöhnend ließ Roger sich neben sie fallen und rollte sich zur Seite, um ausgestreckt im üppigen kühlen Gras zu liegen. Er bettete sich bequem und schloss die Augen.
Sie war sich bewusst, dass er bald fortreiten werde, vielleicht nie mehr nach Nantes zurückkehren würde, und versuchte, sich seinen Anblick ins Gedächtnis zu prägen. In ihren fast dreizehn Jahren war er ihr alles gewesen - Bruder, Gefährte, Lehrer, Freund. Von ihm hatte sie
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