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Familie in meinen Händen liegen."
Ein Frösteln rann ihr über den Rücken, aber sie ließ sich nicht beirren. „Ich denke, für einen Jungen war das mutig gesprochen."
Er zog eine schwarze Braue hoch. „Ich bin älter als Henry oder der Bastard, den du deinen Bruder nennst. Du bist diejenige, die noch ein Kind ist, Eleanor de Nantes, aber ich kann warten." Nach einer knappen Verneigung trat er beiseite.
Eleanor rauschte an ihm vorbei und in die Große Halle. Sie erblickte Walter de Clare, ihren Cousin, und schlug den Weg zu ihm ein. Fast zwanzig Jahre alt, strahlte er einen Hauch von Erfahrung aus, die sie stets beeindruckte. Als sie sich ihm näherte, betrachtete er ihr Gesicht, ihre Gestalt und ihr Kleid und murmelte anerkennend:
„Herr im Himmel, Cousine, du bist größer geworden, seit ich dich zum letzten Mal sah." Er ergriff ihre Hand und führte sie an die Lippen. „Wäre ich nicht verlobt, würde ich dich nehmen."
„Pah!"
Eleanor hängte sich bei Walter ein und zog ihn von seinen Gefährten fort. „Walter, hast du Roger gesehen? Ich möchte ihn warnen, vor Belesme auf der Hut zu sein."
Ihr Cousin furchte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Eleanor, wenn du Roger helfen willst, dann mische dich nicht ein. Er hat die Gunst des Herzogs der Normandie gewonnen, vielleicht sogar Henrys. Also mach keinen Ärger, wenn er die Möglichkeit zum Aufstieg hat. Wenn du ihn liebst, dann ist es an der Zeit, auseinander zu gehen und sich Lebewohl zu sagen." Walter beugte sich näher und flüsterte, nur für Eleanors Ohren bestimmt: „Sei für dich selbst und deine Familie auf der Hut, liebreizende Cousine. Es geht das Gerücht, dass Prinz Henry in dich vernarrt ist." Er hielt inne, weil Belesme vorbeiging. „Denk darüber nach, Eleanor, und denk daran, wie du deiner Familie helfen kannst."
„Wie?" fragte sie freiheraus.
„Bring Prinz Henry dazu, um deine Hand anzuhalten."
„Walter." Schroff schüttelte Eleanor den Kopf. „Du missverstehst die Sache. Prinz Henry und Herzog William sind nur nett zu mir."
„Törichtes Kind. Weder der alte Bastard noch seine Brut neigen zur Nettigkeit, es sei denn, es dient ihrer Politik. Sieh dich an und sieh dir diese Halle an. Denkst du, Gilbert hat keine Hoffnung, durch dich vorteilhafte Verbindungen zu ergattern?" Mit weit ausholender Geste wies Walter durch den Raum. „Die Halle wurde gesäubert, getüncht, mit frischen Kräutern und Blumenblättern bedeckt und mit neuen Wandbehängen dekoriert. Wirklich, Gilbert hat sogar die Binsenlichter durch Kerzen ersetzt! Und sieh dir das Kleid an, das du trägst."
„Er würde nicht wagen, sich eine so hohe Verbindung wie die mit dem Herzog der Normandie zu ersehnen."
„Nein? Er ist der Comte de Nantes, und du bist seine Erbin. : Und der Sohn des Herzogs der Normandie lechzt bereits nach dir."
Genau in diesem Moment wurden Eleanor und Walter von Roger und Henry bemerkt. Die beiden Jünglinge bahnten sich einen Weg durch die Menschenmenge an Eleanors Seite. Roger war frisch gewaschen und in eine neue Tunika aus fein gewirkter blauer Wolle gekleidet. Sein blondes Haar war ordentlich gekämmt und der leichte Bartflaum frisch abrasiert.
„Bruder, du bist so stattlich wie ein Edelmannn", scherzte Eleanor.
„Ja." Er grinste. „Und ich habe einen neuen Dolch bekommen." Er befingerte die juwelenbesetzte Scheide, die an seinem Gürtel hing. „Prinz Henry hat ihn mir gegeben."
Walter sah Eleanor mit einem wissenden Blick an, als wolle er sagen: „Siehst du?"
Schwungvoll neigte er sich über ihre Hand. „Liebreizende Cousine, Prinz Henxy, Roger, ich sehe da drüben ein viel versprechendes Frauenzimmer."
„Walter, du bist verlobt!"
„Ja", stimmte er freundlich zu. „Aber Helene ist in Gerberoi, und ich bin hier."
Er hatte sich kaum umgedreht, um zu gehen, als Williams Gefolge erschien. Ein Herold, gekleidet in die Farben des Herzogs der Normandie, rief: „Tretet beiseite für William, von Gottes Gnaden König von England und Herzog der Normandie!"
Der Herzog betrat die Halle, den stämmigen Körper in eine lange Robe aus feiner roter Seide gehüllt, die Taille mit einer goldenen Kette gegürtet. Beim Gehen ertönten klirrende Geräusche, da er unter seinem Gewand ein Panzerhemd, Stiefel und Sporen anhatte. Hinter ihm trug ein anderer Diener sein Kampfschwert. In all den Jahren des Kämpfens um die Bewahrung seines Erbes hatte William gelernt, sich vor der Hand eines Meuchelmörders zu hüten.
Ehe er das
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