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Ungläubigkeit und Entsetzen malte sich in den Mienen der Burschen. Hinter Eleanor rief der alte Mann: „Was geht hier vor?"
Die Anwesenden wurden eigenartig still und verlegen. Eleanor wirbelte herum und schaute den Neuankömmling an, während die anderen Streithähne auf ihre Füße starrten. Der Blick aus den dunklen Augen des alten Mannes schweifte über die Gruppe, bis er auf Eleanor verweilte. „Nun, gibt es unter euch keinen Mann außer dieser Maid?" fragte er schließlich mit rauher, krächzender Stimme. „Das Mädchen steht unerschrocken da, während ihr euch duckt." Trotz der Herausforderung wagte niemand, dem Mann zu antworten. „Nun, Demoiselle, ich überlasse es dir, mir zu antworten. Was geht hier vor?"
„Diese . . . diese Junker wollten sich einen Spaß machen, indem sie meinem Bruder etwas antun, nur weil er als Bastard geboren wurde." Anklagend wies sie auf den hoch gewachsenen Jüngling, der sich als Belesme herausgestellt hatte. „Er hat damit gedroht, ihn zu ertränken."
„Stimmt das, Robert?" Finster schaute der alte Mann den schwarzhaarigen Junker an.
Roberts Antwort war ausweichend: „Sire, er wollte die Stechpuppen benutzen, und dabei ist es augenfällig, dass er niedrig geboren ist und nicht geeignet, sich mit uns zu messen."
„Und warum sollte er die Stechpuppen nicht benutzen?" fragte Eleanor hitzig. „Das sind seine. Er hat sie aufgestellt, und das ist sein Übungsfeld." Trotzig schaute sie den hoch gewachsenen Jüngling an. „Welches Recht hast du, nach Nantes zu kommen und des Grafen Sohn zu verspotten?"
„Wenn er von so edler Geburt ist, warum war er nicht im Pagendienst?" entgegnete Belesme.
"Ruhe!" Aus der Stimme des alten Mannes hatte unmissverständliche Autorität geklungen. „Ich will nur wissen, ob der Streit um uneheliche Geburt geht." Er winkte Roger zu sich und starrte ihn hart an. „Nun?"
Es war offenkundig, dass Roger nicht den Wunsch hatte, die Junker anzuschwärzen, doch Eleanor widerstrebte es, zuzulassen, dass seine Peiniger ungestraft davonkamen. „Sir. Mylord", lenkte sie die Aufmerksamkeit des alten Mannes wieder auf sich. „Sie alle haben meinen Bruder verhöhnt, ihn einen Bastard genannt und Dame Glynis eine angelsächsische Hure. Sie werfen ihm etwas vor, für das er nichts kann."
„Ich weiß viel über uneheliche Geburt, Demoiselle", lautete die markige Antwort.
„Gilberts uneheliches Kind? Du hast nicht sein Aussehen."
„Ich komme nach meiner Mutter, Mylord." Gelassen hielt Roger dem Blick des dunkeläugigen Mannes stand. „Sie ist die Tochter eines angelsächsischen Thans und keine niedrig geborene Hure."
Nachdenklich rieb der alte Mann sich das Kinn. „Wie schade, dass Gilberts einziger Sohn unehelich geboren sein muss. Ich frage mich ..." Er sprach den Gedanken nicht aus. „Nie im Pagendienst, he?"
„Meine Mutter wollte nichts davon hören", schaltete Eleanor sich wieder in die Unterhaltung ein. „Sie hasst meinen Bruder."
„Das kann ich mir bei Mary de Clare gut vorstellen", bemerkte der alte Mann trocken. „Wie nennt man dich, Demoiselle?"
„Ich bin Eleanor, die Erbin von Nantes", antwortete sie stolz, „und das ist mein Bruder Roger, genannt FitzGilbert."
„Ich verstehe. Und wie alt bist du, Roger?"
„Er ist fast sechzehn, Mylord", antwortete Eleanor.
„Er macht keinen wirrköpfigen Eindruck, Demoiselle", hielt der alte Mann ihr vor. „Bestimmt kann er selbst einfache Fragen beantworten."
Sie errötete und biss sich auf die Unterlippe, um eine Äußerung zu unterdrücken.
Roger musste über ihr Unbehagen lächeln, und diesmal antwortete er an ihrer Stelle: „Um Vergebung, Mylord, aber Lea ist willensstark und stets bereit, für mich zu sprechen, ob ich ihre Unterstützung nun brauche oder nicht."
„Ich verstehe. Nun, Roger FitzGilbert, du hast noch nicht als Page oder Knappe gedient, doch deine Schwester sagte, du könntest kämpfen. Kannst du dich in der Tat in einem Kampf einer Aufgabe mit Geschick entledigen?"
„Ja, Mylord. Ich kann mit einer Lanze, einer Axt oder einem Schwert kämpfen", antwortete Roger schlicht.
Die Umstehenden lachten abfällig. Der Robert de Belesme genannte Junker schnaubte: „Damit hat er sich als Lügner erwiesen, Sire, denn wie sollte er mit dem Schwert umgehen können."
„Ich denke, wir werden sehen, Robert." Der alte Mann blickte finster warnend drein.
„Wenn dieser Bursche gegen dich standhalten kann, dann werde ich selbst ihn in Dienst nehmen. Letzten Endes meine
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