0224 - Fluch der Erdgeister

»Wir müssen diesen Wer-Löwen erwischen. Wie viele Menschen hat er schon umgebracht? Sechs, nicht wahr?«
    Bill Fleming zählte stumm an den Fingern durch und nickte dann.
    »Richtig. Es wird Zeit, daß es abreißt. Aber…«
    Er zögerte.
    »Die sieben«, sagte Zamorra. »Entweder braucht er noch ein siebtes Opfer, um einen Zauber zu erfüllen, oder er macht danach weiter. Aber sieben ist die magische Zahl. Ob wir ihm einen Köder anbieten?«
    »Du denkst an mich?« fragte Nicole.
    Zamorra schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »An Bill oder mich. Unser unbekannter Freund mordet bekanntlich Frauen und Männer.«
    »Das mit dem Köder ist Kappes«, brummte Bill, der wie Zamorra Professor war, nur sah man es beiden nicht an. »Wenn die Sache mit Nicoles Traum stimmt, dann weiß der Wer-Löwe ohnehin, aus welcher Richtung ihm Unheil blüht. Nein, wir sollten einfach die in Frage kommenden Dörfer abklappern und sondieren.«
    Zamorra drehte das Amulett zwischen den Händen. Es hing an einem Silberkettchen vor seiner Brust. Er hatte es sich schon seit langer Zeit angewöhnt, es ständig bei sich zu tragen. Es war nicht nur ein ausgezeichneter Dämonenspürer, sondern auch die beste Abschirmung gegen die Kräfte der Schwarzen Magie -und eine verheerende Angriffswaffe gegen die Schwarzblütigen.
    »Das Amulett hat die Blutspuren gespeichert«, sagte er.
    Hoffe ich, fügte er in Gedanken hinzu. Er hatte die magische Scheibe, die der Zauberer Merlin vor fast tausend Jahren aus der Kraft einer entarteten Sonne formte, jedenfalls auf die Spuren angesetzt, aus denen die Verwandlung von Raubtier- zu Menschenfährte hervorging. Und er konnte nur hoffen, daß das Amulett auf irgend eine unbegreiflichmagische Weise diese Spuren in sich aufgenommen und gespeichert hatte. Aber völlig sicher würde er erst dann sein können, wenn das Amulett die Gelegenheit bekam, eine andere Spur aufzunehmen, zu vergleichen und auf die Ähnlichkeit anzusprechen.
    »Bill hat recht«, sagte Nicole. »Hier in der Stadt kommen wir nicht weiter. Wir wissen nicht einmal die genaue Uhrzeit, in der der Wer-Löwe zu erwarten ist. Die Todeszeit der Opfer ist nicht zu bestimmen.«
    Dies war ein Phänomen, das weder Zamorra und seine Gefährten noch die Mediziner aus dem Polizei-Labor begriffen. Bei jedem Menschen läßt sich der Zeitpunkt seines Todes auf eine halbe Stunde genau bestimmen. Bei jenen Opfern, die der Wer-Löwe riß, war dies nicht der Fall. Alle Methoden der Zeitbestimmung versagten.
    Zamorra schnipste mit den Fingern.
    »Gut«, sagte er. »Klappern wir also die Dörfer ab und durchforsten sie. Hoffentlich regt sich keiner darüber auf, wenn wir in seinen Kochtopf schauen.«
    »Wer soll sich aufregen?« brummte Bill. »Die Eingeborenen sind da nicht so empfindlich wie wir Überzivilisierten. Es soll hier noch echte Gastfreundschaft geben.«
    »Versuchen wir es also«, schloß der Meister des Übersinnlichen. »Auf geht’s.«
    Keiner von ihnen ahnte in diesem Moment, was wirklich auf sie wartete…
    ***
    »Zauberhaft«, sagte die blonde Teena und strich sich durch das lange Haar. Sie genoß den Anblick der Menschen, die sich in bunter Farbenpracht präsentierten. Innerhalb kurzer Zeit versammelten sie sich an einer Stelle zwischen den Häusern, dicht bei den beiden Geländewagen, brachten Klapphocker, Kisten oder Kissen mit, auf die sie sich kauerten. Bunte Kleider konkurrierten miteinander. Jemand schleppte einen großen, papiernen Sonnenschirm mit sich, dessen Fläche mit chinesischen Drachenmotiven bemalt war..
    »Na, ich weiß nicht«, murmelte Cora Williams. »Von der ursprünglichen Natürlichkeit dieses Volkes ist wohl nicht viel übriggeblieben. Schauen Sie sich die Verkrampftheit dieser Leute mit all ihren Sachen an. Sie sind schon von der Zivilisation weichgekocht. Die Stadt ist nur ein paar Stunden entfernt.«
    Teena hob die schmalen Schultern.
    »Trotzdem finde ich es zauberhaft«, sagte sie. »Und bewundernswert. Wenn bei uns ein Fest gegeben wird, muß alles wochenlang vorbereitet werden. Und hier…«
    Die Weißen wurden in den Kreis gefügt und fanden als eigene kleine Gruppe darin ihren Platz. Vor ihnen wurde ein kleines Feuerchen entfacht, wohl mehr symbolisch als nützlich. Aber wer konnte wissen, was aus diesem Fest wurde? Wahrscheinlich würde gegen Abend ein saftiger Braten am Spieß über den Flammen rotieren…
    Schalen mit einer Flüssigkeit, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Bier aufwies, wurden herumgereicht.