0225 - Das Lavamonster
entsetzliches Wesen entstand. Doch der Magier fürchtete sich nicht. Er wußte, daß er es immer unter Kontrolle hatte. Es würde sich niemals gegen ihn richten können. Denn das Buch log nicht.
Da lag es, fast achtlos auf dem Fenstersims. Eine Handbreite dick, in schwarzes Leder gebunden, mit Lederseiten und mit Blut beschrieben. Die geheimnisvollen Schriftzeichen waren dem Magier kein Geheimnis. Er hatte sie übersetzt und war den Anweisungen gefolgt.
Jetzt zeigte sich, daß er richtig gehandelt hatte.
Der Dämon erwachte. Oben, am Schräghang des Vesuv, direkt gegenüber der alten Ruinenstadt…
»Sobald du gefestigt bist, wirst du zu mir kommen«, flüsterte der Magier, in dessen Augen es wieder leuchtete. Irrlichternde, schnelle Reflexe! »Du wirst mir gehorchen… durch dich werde ich mächtig! Du bist mein Werkzeug, Dämon! Was andere jahrtausendelang vergeblich versuchten, ist mir gelungen… Komm zu mir, um meine Befehle zu empfangen, Dämon!«
Ein schrilles Lachen erklang und ließ seinen Körper in Zuckungen verfallen. Der Magier lachte!
Es war das Lachen eines Wahnsinnigen…
***
»He«, sagte Salvatore betroffen. »Wer schmeißt denn hier mit Steinen?« Er rieb sich die getroffene Schulter und richtete sich auf. »Da kraxelt einer über uns herum!«
»Wo hast du denn den Ausdruck her?« fragte Lucia.
»War drei Jahre als Gastarbeiter in München«, murmelte Salvatore. »Aber da muß wirklich einer sein! Wo sollten sonst die Steinchen herkommen?«
»Sage ich doch!« behauptete Lucia. »Da ist etwas!«
»Ja, ein Blitz in den Ruinen«, knurrte er und sah nach oben. Er entdeckte einen rötlichen Schein oben am Hang.
»Das ist bestimmt mein Vater!« hauchte Lucia. »Er sucht mich! Wenn er uns findet, schlägt er uns tot!«
Salvatore winkte nur ab. Er war eher der Ansicht, daß da oben ein Spanner lauerte. Der Bursche sollte etwas erleben! Seine süße Lucia durfte nur und ausschließlich er selbst nackt sehen, und sonst keiner! Salvatore ballte die Fäuste und beschloß, dem Kerl da oben eines zwischen die Zähne zu geben, daß ihm Hören und vor allem Sehen verging.
Entschlossen stapfte er den Hang hinauf.
»Was machst du? Was hast du vor? Wo willst du hin?« rief Lucia ihm nach.
Er sagte es ihr.
»Paß auf dich auf! Warte! Du kannst mich doch nicht einfach allein hier lassen!« Sie begann ihm zu folgen.
Salvatore beschleunigte sein Tempo.
Innerhalb kurzer Zeit hatte er fünfzehn Meter Höhenunterschied zurückgelegt und sah jetzt die Stelle, von der das Leuchten ausging und von wo immer noch Steinchen herabkollerten. Da stimmte etwas nicht!
Jetzt konnte er es sehen.
Das war Glut!
Der Vulkan bricht aus! war sein erster Gedanke. Dann aber schüttelte er entschieden den Kopf. Der Vesuv war ein durchaus friedlicher Bursche. Wenn er auf die Idee kommen sollte, Feuer zu speien, dann tat er das von hoch oben, aus dem Kegel heraus. Die Seitenkanäle hatten seit langem nicht mehr gearbeitet. Und wenn - dann floß die Lava, strömte in Weißglut heraus.
Hier strömte nichts. Der Glutfleck veränderte sich nicht. Auch gab es kein Zittern des Bodens.
Lucia schloß auf und schmiegte sich an ihn.
»Da bewegt sich etwas!« erkannte sie. »Es kommt von unten und läßt die obere Lavaschicht abplatzen! Daher die Steinchen.«
Offenbar, überlegte Salvatore grimmig, war ihre häufig zur Schau gestellte Dummheit nur gespielt.
Die Glut vergrößerte sich nicht, aber sie bewegte sich. Etwas formte sich und hob sich heraus.
»Ich werde wahnsinnig«, murmelte Salvatore, als er sah, worum es sich handelte.
Zwei rotglühende Hände, die von Flämmchen umtanzt wurden, hoben sich hervor.
Glühende Lava-Hände!
»Ich spinne!«
Aus den Händen wurden Arme. Knapp darüber formte sich etwas, das wie ein Gesicht aussah, aus der glühenden Masse. Ein Gesicht, ein Kopf, Schultern, zu denen die erhobenen Arme gehörten. Der Oberkörper richtete sich aus der Glut empor.
Es war, als erhebe sich ein Mensch aus dem kleinen Glutfleck.
Aber dieser Mensch - glühte selbst! Glühte aus sich heraus, bestand selbst aus Lava!
Salvatore wußte, daß er Zeuge eines unglaublichen, einmaligen Vorgangs wurde, und er bedauerte, keine Kamera griffbereit zu haben, denn seinen Worten würde niemand glauben. Nicht einmal, wenn Lucia es bestätigte. Und die würde sich hüten. Nach Recht und Gesetz und dem Willen ihres superstrengen Vaters hatte sie jetzt still und brav in ihrem Bettchen zu liegen und von frommen Dingen zu
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