0227 - Stellas Rattenkeller
stießen und schlugen und konnten es doch nicht schaffen, alle Ratten von unseren Körper fernzuhalten, denn sie fanden immer einen Weg.
Vor allen Dingen einen, der uns ein normales Stehen fast unmöglich machte. Sie klemmten sich unter unsere Füße, wir gerieten ins Schwanken, so daß wir mit den Beinen uns kaum noch verteidigten. Nur die Arme fuhren hoch und nieder. Jeder Dolchstich traf zwar, aber er war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Die Ratten bekamen immer mehr Verstärkung. Von der Treppe kamen sie. Eine graue, widerliche Woge wälzte sich die Stufen hinab, für eine getötete Ratte kamen zwei neue.
»Das schaffen wir nicht!« keuchte ich und zuckte zurück, denn ich hatte mich zu weit nach vorn gebeugt, so daß es einer Ratte fast gelungen wäre, mir ins Gesicht zu springen.
Leider standen wir mit dem Rücken zur Tür. Die Zeit für eine Drehung gaben uns die Viecher nicht, sie waren darauf aus, uns zu vernichten. Ihnen sollten wir nicht mehr entkommen.
Dabei blieb als einziger Ausweg noch die Tür, aber die Tiere schienen dies zu ahnen. Sie griffen uns so raffiniert an, daß wir von der Tür immer weiter weggedrängt wurden.
Es wurde ein höllischer Kampf, und wir sahen ein, daß wir auf die Dauer nicht standhalten konnten.
Es war den Biestern gelungen, sich durch unsere Kleidung zu beißen, und sie hatten uns bereits einige Wunden gerissen.
Besonders an den Beinen spürte ich die Schmerzen, und ich zuckte zurück, als mich zwei Nager in Hüfthöhe ansprangen.
Zum Glück hackten ihre Zähne in meinen Gürtel, so daß ich sie mit einem Faustschlag von mir wegfegen konnte.
Und dann kippte ich zur Seite. Wie es den Ratten gelungen war, unter meine Schuhe zu gelangen, konnte ich nicht sagen. Auf jeden Fall verlor ich das Gleichgewicht und sah mit Schrecken die wirbelnde graue Masse auf mich zukommen.
Ich schrie, schlug mit den Armen um mich, versuchte Halt zu finden, und mir wurde drastisch klargemacht, daß Luft keine Balken hatte…
***
Auch Professor Gardener konnte sich nicht allzu stark auf seine Arbeit konzentrieren. Immer wieder mußte er an den Besuch der beiden Yard-Beamten denken und an den Verdacht, den sie geäußert hatten. War es denn möglich, daß ein Mensch wie Rocky Koch, der in seiner Zelle saß, trotz allem noch Kontakt mit der Außenwelt pflegte?
Normalerweise nicht, aber in diesem Fall deutete alles darauf hin, obwohl Koch dauernd kontrolliert wurde, und das Personal ließ sich nicht bestechen.
Zwangsläufig dachte er auch an Stella Murdock, die Therapeutin.
Er wurde nervös, als sich seine Gedanken mit ihr beschäftigten.
Der Bleistift zwischen seinen Fingern drehte sich schneller.
Irgendwie hatte er das Gefühl, daß die beiden Beamten Stella nicht über den Weg trauten, aber einen Grund sah er nicht. Sie gehörte zu den wenigen Menschen, die ein unwahrscheinliches persönliches Engagement mit in ihre Arbeit brachten.
Der Professor sah kein Motiv. Nein, Stella Murdock konnte man als absolut solidarisch bezeichnen, und davon ließ er sich auch nicht abbringen.
Seufzend stand Gardener auf und trat ans Fenster. Sein Blick fiel durch die blanke Scheibe in den Garten, der ebenfalls zum Haus gehörte, sehr kultiviert angelegt war, kleine Höhenunterschiede besaß, einen gesunden Baumwuchs aufwies und von Kieswegen durchzogen wurde. Hübsch machten sich die weißen Bänke, die fast allesamt belegt waren, denn bei so einem schönen Wetter liefen die Kranken natürlich im Freien herum. Und es waren ja die wenigsten Fälle so schwer, als daß die Menschen nicht mehr aus ihren Zellen kommen durften.
Allerdings standen alle unter der Beobachtung des Personals.
Bewachung konnte man das nicht nennen. Die Menschen — es waren Schwestern und Pfleger — hatten sich so verteilt, daß sie die Kranken im Auge behielten, ohne selbst gesehen zu werden.
Eine gute Lösung, wie auch Professor Gardener empfand.
Diese Art von Überwachungssystem war ebenfalls von der Therapeutin Stella Murdock eingeführt worden. Sie hatte sich ihre Gedanken schon darüber gemacht, und jetzt sollte sie quasi von heute auf morgen zu einer verdächtigen Person geworden sein?
Das konnte sich der Professor beim besten Willen nicht vorstellen.
Er hätte gern mit Stella geredet, aber sie wollte nicht mehr in der Klinik bleiben. Der Besuch der beiden Polizisten hatte sie zu sehr aufgeregt.
»Warum geben sie denn keine Ruhe? Weshalb wühlen sie den alten Dreck noch einmal auf?«
So hatten ihre Worte
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