0233 - Allein in der Drachenhöhle
verschwunden. Bis auf das Kreuz und einen schlichten Altar hinter mir. Beides musste geweiht sein, sonst hätte die Magie es auch zerstört.
Der Spuk hatte zugeschlagen und bewiesen, wie mächtig er sein konnte. Er war nicht nur einfach der Aufpasser im Reich der Schatten, nein, auch er konnte eine eigene Magie einsetzen, die auf der normalen Welt ebenfalls Bestand hatte.
Wenn ich mir das so anschaute, wurde ich unwillkürlich an den Schwarzen Tod erinnert. Auch er hätte - würde er noch existieren - ähnlich reagiert. Der gab sich niemals mit kleinen Dingen ab, sondern schlug sofort in die Vollen.
Es war müßig darüber nachzudenken, wer nun mächtiger war. Der Spuk oder der Schwarze Tod. Ich tippte auf eine gleiche Stärke, wobei sich der Spuk bisher nur zurückgehalten hatte, während der Schwarze Tod sich immer in den Vordergrund drängte.
»So, das hätten wir dann wohl«, sagte Lady Sarah nach einer Weile und befreite sich aus meinem Griff. Sie schaute mich aus tränennassen Augen an und fragte nach einem Taschentuch.
Ich hatte zum Glück ein sauberes. Während sie sich mit einem Zipfel die Augen austupfte, meinte sie:
»Wissen Sie was, mein Junge?«
»Nein.«
»Ach, lassen Sie mich mal ausreden. Das Buch schenke ich Ihnen, obwohl ich Leihgebühr dafür bezahlt habe.«
Ich musste lachen. »Wie großzügig von Ihnen.«
»Ja, ich will damit nichts mehr zu tun haben.«
»All right, Lady Sarah, dann werde ich Ihnen auch einen Gefallen erweisen.«
»Der wäre?«
»Die Reparatur der beiden Fenster in Ihrem Haus geht auf Kosten von Scotland Yard.«
»Was?«
»Ist das nicht toll?«
»Aber zwei Fenster, John. Ich habe nur mit einem gerechnet. Da herrscht Durchzug.«
Ich verdrehte die Augen. »Leider hat die Vampirin Lady X auf Ihr Fenster im Bad keine Rücksicht genommen. Sie benutzte dies als Fluchtweg, wobei die Scheibe noch im Rahmen steckte.«
»Unverschämtheit. Vor nichts, aber auch gar nichts haben die Vampire heute Respekt. Da lobe ich mir die alten Blutsauger, die tagsüber in den Särgen schlafen und erst nachts umhergeistern.«
»Die scheinen immer weniger zu werden.«
»Leider.«
Suko kam herbei. Er hatte sich ein wenig umgeschaut, nickte Lady Sarah lächelnd zu und meinte:
»Gleich wird hier der Teufel los sein. Der Pfarrer hat die Polizei und die Feuerwehr alarmiert. Sie sind bereits auf dem Anmarsch.«
»Keine Schaulustigen?« fragte Mrs. Goldwyn.
»Wohl nicht. Die Menschen lagen alle in den Betten und haben kaum etwas mitbekommen, bis auf einen Zeugen, der uns zufällig über den Weg lief. Sonst hätten wir Sie nicht gefunden. Er ist praktisch Ihr Lebensretter.«
»War es ein Mann?«
»Ja.«
»Wo steckt er denn?« Lady Sarah schaute sich um.
»Ich habe ihn auch schon gesucht. Er ist verschwunden, nachdem er gegen unseren Wagen lief. Der Mann war völlig außer sich. Der Vorgang muss ihn unheimlich mitgenommen haben.«
»Was ich sehr gut verstehen kann«, erwiderte die Horror-Oma nickend. »Das alles war verdammt hart.«
Endlich kam ich dazu, mich zu bücken und das Buch nebst dem Kreuz aufzuheben. Beides behielt ich in der Hand. Ich schaute auf den Deckel, auf dem das Kreuz lag.
Jetzt waren sie zusammen. Ich besaß es und konnte vielleicht darangehen, das Rätsel zu lösen.
Es war ein seltsamer Augenblick in meinem Leben, wie ich da stand und auf die beiden so wichtigen Dinge schaute. Jahrelang hatte ich geforscht, um das Geheimnis des Kreuzes herauszufinden. Mal bekam ich eine Andeutung, die allerdings immer so verschwommen war, dass man auf ein konkretes Ergebnis nicht hoffen konnte.
Und nun besaß ich das Buch. Und ich befand mich in keiner direkten Gefahr, das sei hinzugefügt. Es hielt sich niemand in der Nähe auf, der mir den wertvollen Fund abjagen wollte.
»Damit müssen Sie sich jetzt beschäftigen, John«, sagte die Horror-Oma, »ich habe die Nase gestrichen voll.«
»Das kann ich verstehen.«
»Kommen Sie denn klar?«
Ich hob die Schultern. »Es wird sich noch herausstellen. Sie haben nicht zufällig einen Blick hineingeworfen?«
Die Horror-Oma schüttelte den Kopf. »Nein, dazu bin ich kaum gekommen.«
Das war verständlich.
Wir hörten die Sirenen, sahen das Rotlicht, und wenig später strichen die Lichtlanzen der Scheinwerfer über den jetzt freien Platz, auf dem sonst die Kirche gestanden hatte.
Polizei und Feuerwehr waren alarmiert worden. Die Wagen hielten mit quietschenden Reifen, und bei den Polizisten handelte es sich um die gleichen
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